Aargauer Regierung erhöht den Tarmed-Tarif, die Ärzte freut’s – doch steigen jetzt die Prämien?
Wie viel dürfen Ärztinnen und Ärzte für eine Behandlung verrechnen? Mehr als bisher, findet der Aargauer Regierungsrat. Nachdem sich Leistungserbringer und Krankenkassen nicht einigen konnten, musste dieser einen Tarif für ambulante ärztliche Leistungen (Tarmed) festlegen. Neu beträgt er 92 statt 89 Rappen pro Taxpunkt. Drei Rappen mehr, was nach wenig klingt, hat grosse Auswirkungen: Da der Tarif rückwirkend per 1. Januar 2013 gilt, müssen die Krankenkassen möglicherweise Beträge in Millionenhöhe nachzahlen.
Der Tarmed gilt für alle ambulanten ärztlichen Behandlungen in Praxen und Spitälern. In der Tarifstruktur wird der Preis einer ärztlichen Leistung bei Behandlungen festgelegt. Der Katalog umfasst rund 4600 verschiedene Leistungen. Diese werden jeweils mit einem Wert multipliziert, der von Leistungserbringern und Krankenkassen ausgehandelt wird – der sogenannte Taxpunktwert. So ergeben sich die Kosten einer Behandlung.
Die Krankenkassen wehren sich gegen eine Erhöhung der Tarife, weil sie dadurch mehr bezahlen müssen und in der Folge die Prämien weiter steigen. Der Aargauer Tarifstreit beschäftigte in der Vergangenheit auch die Justiz:2016 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass der Aargauer Regierungsrat den Taxpunktwert für ambulante Leistungen der niedergelassenen Ärzte neu festlegen muss.Die Krankenversicherer setzten sich damals im Streit gegen den Ärzteverband durch.
Im Juni 2023 kam es im Aargau zu einem weiteren Knall: Die Spitäler kündigten den Tarmed sowie die Tarifverträge für Physio- und Ergotherapie und zwangen damit die in Einkaufsgemeinschaften organisierten Krankenkassen zu Neuverhandlungen.
Taxpunktwert wurde aufgrund von Daten festgelegt
Kommt bei Tarifverhandlungen keine Einigung zustande, muss der Kanton den Tarif festlegen. Genau das ist im Aargau passiert: Nun hat die Regierung den Taxpunktwert um drei Rappen erhöht. Das ist zwar weniger als von den Leistungserbringern erhofft, gleichzeitig handelt es sich um die erste Erhöhung seit Jahrzehnten.
Laut Urs Steimen, Leiter der Fachstelle Tarife, hat der Regierungsrat den Taxpunktwert gestützt auf die vom Aargauischer Ärzteverband und von der Ärztekasse gelieferten Abrechnungs- und Buchhaltungsdaten festgelegt. «Der Wert basiert auf den Daten praktizierender Ärztinnen und Ärzte und wurde mittels Kostenmodell berechnet. Der Aargau ist unseres Wissens der einzige Kanton, der den Taxpunktwert gestützt auf Daten praktizierender Ärztinnen und Ärzte festgelegt hat», schreibt Steimen. Dieses Vorgehen entspreche dem Bundesgesetz über die Krankenversicherung und einschlägigen Gerichtsentscheiden.
Der Kanton schätzt die Beträge, welche die Krankenkassen für die Jahre 2013 bis 2021 nachzahlen müssen, auf je zwischen 10,5 und 13,5 Mio. pro Jahr. Auf die Frage, ob dadurch mit einem weiteren Prämienanstieg zu rechnen ist, sagt Steimen: «Pro Kopf und Jahr betragen die Mehrkosten weniger als 20 Franken. Das dürfte für sich allein noch nicht zu einer Erhöhung der Prämien führen.» Zudem sei der Entscheid noch nicht rechtskräftig.
Der Aargau könnte für Hausärzte attraktiver werden
Für Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbands, war die Anpassung des Tarifs ein längst überfälliger Schritt. «Es freut mich, dass der Kanton den Tarif endlich erhöht hat, auch wenn 92 Rappen aus meiner Sicht nicht reichen. Dieser Schritt zeigt mir, dass man den Ernst der Lage erkannt hat.»
Laut Lareida können die Grundversorger mit Mehreinnahmen von etwa 15’000 Franken pro Jahr rechnen. Das durchschnittliche Einkommen einer Hausärztin oder eines Hausarztes im Aargau liege bei 135’000 Franken. Der Kanton zählt zu jenen mit der geringsten Hausarztdichte. Lareida ist überzeugt: «Der neue Tarif wird die Attraktivität des Berufs steigern.»
92 Rappen ist der höchste Taxpunktwert in der Deutschschweiz. Allerdings könnten die Aargauer Hausärztinnen und Hausärzte im Gegensatz zu den Nachbarkantonen keine Medikamente verkaufen und hätten so einen Standortnachteil, sagt Lareida. Einen höheren Tarif dürfe man aber nicht als Kompensation verstehen: «Hausärzte sollen für ihre Arbeit einfach fair entlöhnt werden.» Die Einführung des neuen Tarifsystems Tardoc würde die Hausarztmedizin aus seiner Sicht zusätzlich stärken.
Der alte Tarif habe über 30 Jahre gegolten, ein grosser Teil der Teuerung sei nicht ausgeglichen worden. Lareida bemängelt zudem, dass eine Diskussion mit den Krankenkassen kaum noch möglich sei. «Wir wissen schon vorher, dass sie jegliche Anpassungen nach oben ablehnen.»
Lareida geht davon aus, dass die Krankenkassen auch diesen Entscheid des Regierungsrats anfechten dürften. Aber natürlich hoffe er das Gegenteil. Ein Sprecher der Einkaufsgemeinschaft Tarifsuisse, welche Tarife für die meisten Schweizer Krankenkassen aushandelt, sagte im SRF-Regionaljournal, dass ein Entscheid noch ausstehe. Sollte die Erhöhung tatsächlich angefochten werden, könnte es noch einige Jahre dauern, bis klar ist, welcher Tarif im Aargau gilt.