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«Es fehlt eine einheitliche Strategie»: Braucht es im Aargau ein Kompetenzzentrum für Long Covid?

Grossrätinnen von SP und GLP finden, die Versorgung von Long-Covid-Betroffenen müsse verbessert werden. Wie sich die Spätfolgen der Pandemie in den Spitälern und bei der Invalidenversicherung zeigen.

Die Versorgungslage für Long-Covid-Betroffene sei unzureichend, eine einheitliche Strategie fehle und der Zugang zu umfassenden Therapien sei nicht gewährleistet, obwohl im Aargau einige Long-Covid-Sprechstunden etabliert wurden. Zu diesem Schluss kommen die vier Grossrätinnen Lelia Hunziker, Barbara Stocker Kalberer, Lucia Engeli (alle SP) und Béa Bieber (GLP).

Sie finden, das Thema Long Covid müsse im Aargau stärker in den Fokus gerückt werden. Betroffene müssten derzeit Arbeitgeberinnen, Kinderärzte, Hausärztinnen oder Schulen oft selbst über Long Covid aufklären. Zudem seien die Diagnose und der Umgang damit viel zu wenig bekannt.

Am Dienstag haben sie im Grossen Rat eine Interpellation eingereicht. Sie wollen vom Regierungsrat unter anderem wissen, ob er die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für Long-Covid-Patientinnen und -Patienten plane. Ausserdem fragen sie, ob der Kanton eine Leitlinie für Schulen und Arbeitgebende entwickeln könne, wie diese mit Betroffenen umgehen sollen und wie der Zugang zu Bildung an Volks- und Mittelschulen sichergestellt werden könne.

353 Patienten in der Long-Covid-Sprechstunde

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass 3,3 Prozent der gesamten Bevölkerung in Europa von Long Covid betroffen sind. In der Schweiz wären das demnach schätzungsweise 300’000 Personen. Wie viele es tatsächlich sind, ist unklar. Es gibt kein Register. Die Grossrätinnen interessiert deshalb auch, wie der Regierungsrat dazu steht, Long-Covid-Fälle im Aargau systematisch zu erfassen und so eine fundierte Grundlage für die Ressourcenplanung und Versorgung zu schaffen.

Ohne Register muss auf Zahlen von Long-Covid-Sprechstunden oder der Invalidenversicherung zurückgegriffen werden. Sie geben einen Anhaltspunkt darüber, wie viele Menschen betroffen sind. Am Kantonsspital Baden (KSB) wurden seit 2020 insgesamt 353 Patientinnen und Patienten in der Long-Covid-Sprechstunde betreut. Der Frauenanteil liegt bei 66 Prozent. Das teilt die Medienstelle auf Anfrage mit.

Die Nachfrage war im Jahr 2022 mit 161 neuen Patientinnen und Patienten am grössten. In den Jahren 2023 und 2024 sei die Nachfrage mehr oder weniger konstant geblieben. «Diverse Patienten sind bereits seit 2022 wegen Long Covid in klinischer Behandlung», sagt Mediensprecher Omar Gisler. In Bezug auf das Alter gebe es kein deutlich erkennbares Muster. Alle Alterskategorien, vom Teenager bis zum Greis seien betroffen.

Das KSB arbeitet bei der Betreuung von Long-Covid-Patienten eng mit Hausärzten und Rehakliniken zusammen. Petra Ferrari-Pedrini, die Leiterin der Long-Covid-Sprechstunde, sagt, es gebe kein medizinisches Standardprozedere und kein Allheilmittel. Das führe dazu, dass die Betreuung und Behandlung sehr zeitaufwendig seien. «Wir versuchen es mit unterschiedlichen Ansätzen, da jeder Patient anders auf eine Behandlung anspricht.»

Beim Kantonsspital Aarau (KSA) bietet laut Website die Physiotherapie Abklärungen und Behandlungen bei Folgeerscheinungen nach einer Covid-Infektion. Sie arbeiten eng mit anderen Fachspezialistinnen und -spezialisten zusammen. Eine interdisziplinäre Long-Covid-Sprechstunde gibt es nicht mehr.

IV-Anmeldungen wegen Long Covid gehen zurück

Bei der SVA Aargau gingen letztes Jahr 48 IV-Anmeldungen aufgrund einer Long-Covid-Erkrankung ein, wie die Medienstelle auf Anfrage mitteilt. Rund zwei Drittel sind Frauen und der grösste Anteil der Anmeldungen (33,3 Prozent) betrifft Personen zwischen 46 und 55 Jahren, gefolgt von den 56- bis 65-Jährigen (31,3 Prozent).

In den Vorjahren war die Zahl der IV-Anmeldungen im Aargau deutlich höher: Im Jahr 2023 wurden von der SVA Aargau 114 Personen mit Long Covid erfasst, 2022 waren es 126. Die betroffenen Personen würden in erster Linie mit beruflichen Eingliederungsmassnahmen unterstützt, heisst es im Jahresbericht.