Heiraten lohnt sich nicht mehr – und was das mit der Witwenrente zu tun hat
Der Bundesrat gibt sich modern und fortschrittlich – aber nur, wenn es ihm gerade in seinen (Spar-)Kram passt.
Das demonstrierte er am Mittwoch eindrücklich. Er verabschiedete eine Reform, die zur Kürzung der Witwenrenten führt. Seine Begründungen erinnerten an ein Gleichstellungsseminar. Es gehe darum, die AHV-Hinterlassenenrente an die gesellschaftlichen Entwicklungen und der veränderten Rollenverteilung in Familien und im Erwerbsleben anzupassen. Schliesslich seien Frauen heute zunehmend erwerbstätig und angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels sei gerade eine lebenslange Witwenrente nicht mehr gerechtfertigt.
So soll es künftig nur noch eine Rente für Witwen und Witwer geben, bis die Kinder 25 Jahre alt sind. Sind die Kinder älter, sieht der Bundesrat eine Übergangsrente von zwei Jahren vor, bis der überlebende Elternteil seinen Lebensunterhalt wieder selbst bestreiten muss. Ist jemand zum Zeitpunkt des Todes des Partners mindestens 58 Jahre alt und armutsgefährdet, sieht die Reform Ergänzungsleistungen vor.
Nicht falsch verstehen: Für eine Reform der Witwenrente gibt es sehr gute Gründe. Das heutige System bildet tatsächlich ein veraltetes Rollenbild ab. Der Mann, der Ernährer. Die Frau, die schutzbedürftige und finanziell abhängige Hausfrau. Ausdruck dieser gesellschaftlichen Vorstellung ist auch, dass Witwer weniger Geld als Witwen bekommen haben, bis der Europäische Menschengerichtshof in Luxemburg einschritt und die Schweiz wegen Diskriminierung verurteilte.
Die Ehe sei keine Lebensversicherung mehr, hielt denn auch das Bundesgericht unlängst fest. Die Lausanner Richter gaben sich in den letzten Jahren als Gleichstellungsturbos und verschärften die Regeln für den Unterhalt nach Scheidung. Seither ist klar, dass die traditionelle Rollenverteilung für die Frauen ein Risiko ist. Diese tun gut daran, sich ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu bewahren – gerade wenn sie Kinder haben.
Die Reform der Witwenrente passt in diese Entwicklung. Auch dass sie künftig nicht mehr an der Anzahl Ehejahre ausgerichtet wird, sondern am eigentlichen Schutzbedarf. Und dieser ist am grössten, solange die Kinder noch klein oder in der Ausbildung sind. Deshalb will der Bundesrat die AHV-Hinterlassenenrente künftig auch an Konkubinatspaare auszahlen.
Zivilstandsunabhängig also. Das Problem dabei ist: Der Bundesrat handelt nicht konsequent. Am bestehenden Plafond für Ehepaarrenten bei der AHV will er nämlich nicht rütteln. Verheiratete Rentnerpaare bekommen zusammen maximal 150 Prozent der Maximalrente, Konkubinatspaare hingegen 200 Prozent. Unverheiratete Paare können so auf bis zu 4900 Franken pro Monat kommen – 1225 Franken mehr als Paare mit Trauschein.
Die Mitte-Partei will diese Benachteiligung der Ehepaare bei der AHV mit einer Initiative abschaffen. Der Bundesrat sagt dazu Nein. Natürlich wäre die Abschaffung des Rentenplafonds teuer. Doch wie der Bundesrat künftig diese Benachteiligung der Ehepaare bei der AHV rechtfertigen will, während er die Hinterlassenenrente auf Konkubinatspaare ausdehnt, ist ein Rätsel.
Bislang stellte sich der Bundesrat auf den Standpunkt, dass Ehepaare wegen des Beitragsprivilegs, der Witwenrente und des Verwitwetenzuschlags für Rentner einen Heiratsbonus geniessen. Tatsächlich schlagen die Vorteile für Ehepaare mit 3,6 Milliarden Franken zu Buche. Der Nachteil durch die Plafonierung der Rente liegt bei 3,4 Milliarden Franken. Der Heiratsbonus liegt also bei 200 Millionen Franken – und wird wegen des Umbaus der Witwenrente weiter schmelzen.
Das Parlament ist mit der Individualbesteuerung auf dem Weg, eine zivilstandsunabhängige Besteuerung einzuführen. Der Bundesrat will die Witwenrente zivilstandsunabhängig gestalten. Folgerichtig wäre auch ein zivilstandsunabhängiges Erbrecht. Und eine zivilstandsunabhängige AHV-Rente. Das wäre ein grosser Wurf. Und konsequent fortschrittlich.