Der Aargau als Einwanderungskanton für Homeschooling? Kritiker sorgen sich, die Regeln werden aber nicht verschärft
Im November scheiterte der letzte Versuch, im Aargau strengere Regeln für das Homeschooling durchzusetzen – der Aargau bleibt damit in dieser Beziehung einer der liberalsten Kantone der Schweiz. Eine Motion von SP- und Mitte-Grossrätinnen und -Grossräten forderte Verschärfungen.
Der Regierungsrat wäre bereit gewesen, die Forderung als Postulat entgegenzunehmen, doch dagegen gab es Widerstand: «Es ist nicht nötig, zusätzlich zu regulieren. Wir sollten nicht Probleme schaffen, wo gar keine sind», sagte etwa Tonja Kaufmann (SVP). Die Homeschoolingfamilien würden riesigen Einsatz leisten und die Staatskassen entlasten.
Motionärin Colette Basler (SP) räumte denn auch ein, dass man gute Gespräche mit Homeschoolingfamilien geführt habe und deren Anliegen verstehen könne. «Es haben sich bei uns Familien gemeldet, die das vorbildlich machen – für sie würde sich aber auch nichts ändern», so Basler. «Leider gibt es auch andere Motive für den Unterricht zu Hause und Kinder, die von einem Tag auf den anderen aus der Volksschule genommen werden.» Die Motion sei entstanden, weil man sich für das Wohl aller Volksschülerinnen und Volksschüler einsetzen wolle.
Anforderungen in der Primarschule sind gestiegen
Basler bemängelte insbesondere, dass es nur zwei Wochen Vorlaufzeit brauche, um im Aargau ein Kind aus der Volksschule zu nehmen. Das führe dazu, dass Familien aus anderen Kantonen hierherziehen, um ihr Kind zu Hause unterrichten zu können.
Ruth Müri (Grüne) argumentierte, die Anzahl der zu Hause unterrichteten Kinder hätte sich in den letzten zehn Jahren fast verzehnfacht – von 44 auf knapp 400 Schülerinnen und Schüler. «Diese Entwicklung müssen wir kritisch beobachten. Wir wollen das Homeschooling nicht grundsätzlich verbieten, sondern modernere Rahmenbedingungen schaffen.»
Die Motion verlangte, dass der Austritt in der Regel nur auf Semesterende möglich ist und dass ein Elternteil, Pflegeelternteil oder eine Drittperson, welche die Kinder unterrichtet, eine pädagogische Ausbildung vorweisen muss. Der Regierungsrat wollte die erste Forderung ganz umsetzen, bei der zweiten wollte er die Bedingungen für die Stufe Kindergarten und Primarstufe an jene für die Oberstufe angleichen, verzichtete aber auf die pädagogische Ausbildung als Voraussetzung für die private Schulung.
Auch der Aargauische Lehrerverband unterstützte die Forderung, wie einem Artikel im «Schulblatt» zu entnehmen ist. Die Verschärfungen seien «schon längst fällig». Eine strengere Handhabung gebe den Schulen mehr Planungssicherheit und verhindere, dass Eltern ihre Kinder überstürzt aus der Volksschule abmelden würden.
«Zunahme macht mir Sorgen»
Die EVP bekenne sich klar zur Volksschule, erklärte Uriel Seibert, allerdings gebe es auch Fälle, in denen die private Schulung für ein Kind optimaler sei. «Hierfür hat der Aargau aus unserer Sicht eine vorbildliche, liberale Lösung gefunden, die die Unterrichtsqualität gewährleistet.»
Auch die FDP stellte sich hinter die liberale Lösung, die im Aargau etabliert ist. «Dass Homeschooling sehr anspruchsvoll ist, sind wir uns bewusst», sagte Suzanne Marclay. «Aber braucht es dafür eine pädagogische Ausbildung?» Diese fokussiere auf die Tätigkeit im Klassenbetrieb. «Dort herrschen andere Frage- und Problemstellungen.» Trotz der stark gestiegenen Zahlen sei der Anteil mit etwa 0,5 Prozent noch sehr überschaubar, argumentierte Marclay.
Thomas Leitch (SP) wunderte sich über den Verlauf der Diskussion. «Ich habe vor zehn Jahren einen ähnlichen Vorstoss eingereicht und damals war das Problem marginal. Die Zunahme an der Schule zu Hause macht mir Sorgen, auch wenn es immer noch wenige sind.» Nur ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen sollten Kinder unterrichten, so Leitch.
Rat bevorzugt liberale Lösung
Bildungsdirektor Alex Hürzeler stellte ebenfalls fest, dass «die Diskussion heute anders geführt wird als noch vor wenigen Jahren». Das ungebremste Wachstum sei überproportional und auffällig. Aufgrund dessen könne sich der Regierungsrat mit der Stossrichtung einverstanden erklären, auch wenn er nicht gleich weit gehe wie die Motionäre. Hürzeler appellierte an die Grossrätinnen und Grossräte:
«Wenn wir nicht weiterhin als Einwanderungskanton für Homeschooler gelten wollen, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, eine Korrektur vorzunehmen.»
Der Grosse Rat folgte ihm allerdings nicht. Die Kompromisslösung wurde mit 71 Nein- zu 60 Ja-Stimmen abgelehnt. Da in der Frage des Übertritts, der nur am Semesterende möglich sein soll, Einigkeit herrschte, nahm Hürzeler dieses Anliegen «als Auftrag» entgegen, wie er erklärte.