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So lockert der Bundesrat den Schutz: Wann Wölfe neu abgeschossen werden dürfen – notfalls auch ohne den Segen aus Bern

Wie vom Parlament gefordert, lockert der Bundesrat den Wolfsschutz. Und zwar vorzeitig – und damit rechtzeitig zum Start der Alp- und Wandersaison. Zudem klärt die Regierung die umstrittene Frage, wann Isegrim bei Kuhrissen oder Angriffen auf Menschen erlegt werden darf.

Bald ein Jahr ist es her, dass ein Wolf in Graubünden erstmals eine Mutterkuh gerissen hat. Und vor knapp zwei Jahren hat ein anderer Wolf erstmals in der Schweiz eine Älplerin und Wanderer verfolgt. In beiden Fällen wollte der Kanton die Tiere zum Abschuss freigeben – doch die Bündner Jagdbehörde durfte nicht in die Natur eingreifen. Auch nicht, als in der Folge weitere Kühe vom sogenannten Beverinrudel gerissen und weitere Menschen um den Biz Beverin von Problemwölfen verfolgt wurden.

Für einmal waren sich in der Folge breite Kreise von der Politik über die Verwaltung bis zu Tierschützern einig: Solche Situationen dürfen nicht mehr vorkommen.

Und nun reagiert auch der Bundesrat: Er hat an seiner Sitzung vom Freitag die verschärfte Jagdverordnung per 1. Juli in Kraft gesetzt. Dieser Schritt erfolgt damit auch rechtzeitig zum Start der Alp- und Wandersaison. Und bereits ist klar, dass Isegrim weitere Verschärfungen drohen – nämlich dann, wenn das überarbeitete Jagdgesetz in Kraft treten wird.

Älpler, Kantone und das Parlament drängen denn auch seit längerem auf Lockerungen des Wolfsschutzes. Mit Blick auf die Alpsaison hat der Bund allerdings bereits im Frühling Gelder in der Höhe von 4 Millionen Franken für zusätzliches Hilfspersonal, mobile Unterkünfte oder verstärkte Zäune gesprochen. Diese Gelder müssen die Kantone beim Bund beantragen.

Kantone dürfen in Einzelfällen neu selber entscheiden

Laut der nun vorzeitig verschärften Jagdverordnung darf neu ein Einzelwolf aus einem Rudel «unverzüglich abgeschossen werden, wenn er plötzlich und unvorhergesehen Leib und Leben von Menschen bedroht», wie das Bundesamt für Umwelt (Bafu) in einer Mitteilung vom Freitag schreibt. Dafür braucht es auch keine Bewilligung des Bundes mehr. Sprich: Die Kantone dürfen in dieser Frage neu selbstständig entscheiden.

Für Wölfe, die in Gebieten unterwegs sind, in denen bereits früher Schäden zu verzeichnen waren, hat der Bundesrat zudem die für den Abschuss massgebende Schadensschwelle von zehn auf sechs Nutztierrisse gesenkt. Diese sogenannt schadenstiftenden Einzelwölfe – also Tiere ohne Rudel – sollen damit rascher abgeschossen werden dürfen.

Stark betroffene Kantone erhalten mehr Rechte

Und neu werden nicht nur von Wölfen getötete, sondern auch schwer verletzte Rinder, Pferde sowie Lamas oder Alpakas als sogenannt «grosser Schaden» angerechnet. Und auch hier senkt der Bundesrat die Schadensgrenze – und zwar von zwei auf ein Tier.

Ebenso hat die Landesregierung die Schadensschwelle bei der Regulierung von Rudeln gesenkt – und zwar von zehn auf acht gerissene Nutztiere. Bei diesen Kategorien müssen die Kantone allerdings weiterhin beim Bund die Abschüsse beantragen.

Laut Bundesrat dürfen zudem Kantone in Regionen mit mehr als einem Rudel «stärker regulieren als bisher». Und neu sollen auch Tiere aus Wolfsrudeln ohne Nachwuchs vorsorglich abgeschossen werden dürfen.

Immer mehr Wölfe und Rudel

Der Bundesrat untermauert die Lockerung des Wolfsschutzes nebst dem steigenden Druck aus der Politik auch mit Zahlen zu den Grossraubtieren. Laut Bafu wurden Ende vergangenen Jahres rund 250 Wölfe in 26 Rudeln in der Schweiz gezählt. Noch ein Jahr zuvor lag der Wolfsbestand rund 100 Tiere tiefer und die Zahl der Rudel etwa halb so hoch.

Angesichts dieser «schnell anwachsenden Wolfbestände» ergeben sich laut Bafu für die hiesige Alpwirtschaft «grosse Probleme». Konkret zählte der Bund 2022 allein bis Oktober 1500 gerissene Nutztiere – der weitaus grösste Teil davon Schafe. Laut Recherchen von CH Media dürften sich die Risse im vergangenen Jahr sogar verdoppelt haben.

Warten auf neues Jagdgesetz

Die nun per Verordnung beschlossenen Lockerungen des Wolfsschutzes sollen die Situation «kurzfristig etwas entschärfen», schreibt das Bafu. Dauerhaft Besserung bringen soll dann die vom Parlament bereits im Dezember beschlossene jüngste Revision des Jagdgesetzes. Das dagegen ergriffene Referendum ist kürzlich gescheitert. Davor hatte das Stimmvolk 2020 die damalige Lockerung des Wolfsschutzes noch knapp abgelehnt.

Die nun vom Bundesrat auf dem Verordnungsweg vorzeitig beschlossenen Lockerungen sollen laut Bafu mit dem internationalen Schutz der Wölfe vereinbar sein, wie es in einem Bericht zur Verordnung heisst. Sprich: Der Wolf steht damit auch in der Schweiz weiterhin grundsätzlich unter Schutz.