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Alpinist warnt: «Habt Respekt vor den Bergen»

Für Bergführer Rolf Sägesser vom Schweizer Alpen-Club braucht es eine sorgfältige Planung selbst vor einer Wanderung.

Der Gletscherabsturz in den Dolomiten wirft auch bei Wanderern und Alpinisten in der Schweiz Fragen auf, inwiefern Touren im Hochgebirge noch kalkulierbar sind. Rolf Sägesser, Bergführer und Ausbildner beim Schweizer Alpen-Club (SAC), bereitet vor allem Sorgen, dass Menschen mit wenig oder keiner Erfahrung in den Bergen unterwegs sind.

Nach dem Gletscherdrama in den Dolomiten, bei dem am letzten Sonntag mindestens sieben Menschen gestorben sind, stellen sich für Alpinisten grundsätzliche Fragen. Soll man an Hitzetagen überhaupt noch Gletscher begehen?

Rolf Sägesser: Die Temperatur an sich ist nicht entscheidend, ob man einen Gletscher begehen kann oder nicht. Man muss sich aber die Frage stellen: Wo und wann kann ich den Gletscher begehen, wie schaut seine Beschaffenheit aus, hat er viele oder wenige Spalten, sind diese mit Schnee überdeckt oder hat es Abbrüche, die meine Route tangieren? Auch wenn es nicht warm ist, muss man sich an Stellen, wo der Gletscher abgebrochen oder stark zerklüftet ist, gut überlegen, ob man nicht besser einen grosszügigen Umweg macht. Entscheidend ist, ob man das einschätzen kann. Man braucht also Wissen und ein gutes Gespür.


An der Marmolata waren am Sonntag auch einige Bergsteiger individuell unterwegs. Empfehlen Sie, nur mit erfahrenen Bergführern oder Tourenleiterinnen einen Gletscher zu begehen?

Wir empfehlen unerfahrenen Personen, alpine Touren nur mit einem Bergführer oder einer kompetenten Person zu unternehmen und keine Gletscher zu begehen ohne ein grosses Vorwissen. Wenn man sehr erfahren ist, kann man das aber auch problemlos selber machen.

Reinhold Messner sagte gegenüber dem deutschen Fernsehen ARD, dass die Menschen den Bezug zur Natur verloren haben, dass sie keinen Respekt haben vor dem Berg. Das sei das Grundproblem des heutigen Alpinismus. Stimmen Sie ihm zu?

Die Aussage hat eine gewisse Richtigkeit, wenn man berücksichtigt, wie schnell man heute in die Berge gehen kann. Karten sind digital verfügbar, es gibt Publikationen auf Social-Media-Plattformen, Apps und eine leichte Erreichbarkeit. Also: Socken an, Schuhe an, und Go! Dabei geht oft vergessen, dass Berge eigene Gesetze haben. Im Gebirge ist man einem stetigen Wandel ausgesetzt, die Gefahren sind lebhaft. Innert Kürze kann es einen Wetterwechsel oder Temperatursturz geben, oder die eigene Leistungsfähigkeit verändert sich im alpinen Raum. Ich sage immer: Habt Respekt vor den Bergen, seid eher defensiv unterwegs, macht eine gute Tourenplanung.

Was bedeutet das konkret?

Alles durchspielen: von der Zeitdauer, die zu erwartenden Schwierigkeiten, Alternativrouten, inklusive der An- und Rückreise, bis hin zum Wetter und seinen möglichen Entwicklungen. Das gilt auch für eine einfache Wanderung.

Sind heute mehr unerfahrene Menschen in den Bergen unterwegs?

Das ist schwierig zu sagen, aber es war schon auffällig, wie viele Leute es während Corona in die Berge gespült hat, und es kann schlicht nicht sein, dass so viele Leute von heute auf morgen das nötige Wissen besitzen. Dieser Trend zum Massentourismus in den Bergen ist sicher nicht nur gesund.

Auf Social Media werden permanent schöne Bergbilder gepostet.

Ja, dann sieht man diese und denkt: Da gehe ich auch hin! Dabei kann man sich nicht darauf verlassen, wenn irgendeine Person schreibt: easy Wanderung.

Versucht der SAC hier Gegensteuer zu geben, aufzuklären?

Wir beobachten die Entwicklung mit Sorge, können aber nur wenig direkten Einfluss nehmen. Unsere Möglichkeit besteht in dem, dass wir ein sehr umfassendes Ausbildungsangebot vom Schnupperkurs bis zur Ausbildung zum SAC-Tourenleiter anbieten und dabei die Teilnehmenden auf wichtige Themen sensibilisieren. Umweltthemen werden genauso berücksichtigt wie die technischen Aspekte des Alpinismus. Man lernt zu planen wie etwa: Um welche Tageszeit und bei welchen Verhältnisse sind Traversen durch Schneefelder möglich?

Wichtig ist auch die Selbsteinschätzung.

Ja, die ist zentral. Ich muss wissen: Was kann ich mir mit meiner physischen Verfassung und meinem Know-how zutrauen, auch auf einer einfachen Wanderung.

Der Mensch ist ein Risikofaktor. Aber auch das Klima verändert sich. Italien macht insbesondere die Hitzewelle aus Afrika zu schaffen, bei uns ist dieses Phänomen weniger ausgeprägt, aber die Gletscher gehen ebenfalls zurück. Müssen wir unseren Umgang mit den Bergen aufgrund der Klimaextreme grundsätzlich ändern?

Wir müssen diesen Wandel miteinbeziehen und unser Verhalten und unsere Entscheide an die Klimaveränderungen anpassen. Also zum Beispiel eine Hochtour eher im Juni oder Juli planen statt im August oder September, da in den früheren Monaten noch mehr Schnee im Hochgebirge liegt und es dadurch eher weniger Steinschlag gibt.

Sie waren letzte Woche auf einem Gletscher im Sustengebiet. Was macht das mit Ihnen, wenn Sie die Gletscher in dieser Hitze schmelzen sehen?

Das tut mir weh und manchmal durchfährt es mich wie ein Blitz, wenn ich in einem Gebiet bin, in dem sich der Gletscher innert weniger Jahre ein oder zwei Kilometer zurückgezogen hat. Aber ich kann den Lauf der Dinge nicht ändern und höchstens als gutes Beispiel im Denken und Verhalten vorausgehen.