«Sechs bis acht Wochen Arbeit für den Arsch»: So blickt Nationaltrainer Andy Schmid auf die WM
Andy Schmid ist nicht dafür bekannt, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Offen spricht er darüber, wie ihn der Ausfall von Spielmacher Manuel Zehnder tangiert, was er bei seinen Spielern nicht leiden kann und welcher Akteur ein «Geschenk» ist.
Andy Schmid über den Ausfall von Manuel Zehnder:
Am 3. Januar, im ersten WM-Test am Yellow Cup gegen Italien, zog sich Manuel Zehndereinen Kreuzbandriss, einen Innenbandriss und einen Meniskusriss zu. Letzte Saison wurde der 25-Jährige Torschützenkönig in der Bundesliga. Der Spielmacher ist ein Ausnahmekönner, gilt in der Nati als legitimer Nachfolger von Andy Schmid.
Andy Schmid: «Zehnders Ausfall ist einschneidend für uns. Meine ersten Gedanken waren: Nun ist die Arbeit von sechs bis acht Wochen für den Arsch. Denn unser Angriffsspiel baut auf ihm auf, ist auf ihn zugeschnitten und ausgerichtet. Zehnder ist unser Leader und ein Spieler von internationaler Klasse.»
… über den Verletzungsschock:
Schmid: «Er weicht erschreckend schnell. So ist der Sport. Manchmal ist diese Schnelllebigkeit erschreckend, manchmal ein Vorteil. Wenn ein Spieler schreiend am Boden liegt, überlegst du dir auch: Was bedeutet das für ihn? So ein Unfall hat nicht nur viele Monate Pause zur Folge, sondern ist auch eine psychische Belastung. Aber wir werden Zehnder jeden möglichen Support geben. Und bei aller Dramatik: Es ist eine Sportverletzung, er muss nicht um sein Leben kämpfen.
Damit der Schock keine lähmende Wirkung aufs Team hat, muss man als Trainer vorangehen, die Zuversicht vorleben. Es geht weiter. Wir haben keine andere Wahl. Wenn wir gegen Tschechien verlieren, wird die Frage kommen: Hat Manuel Zehnder gefehlt? Ja, er hat gefehlt. Aber wir dürfen jetzt nicht Manuel Zehnder jetzt ins Zentrum stellen. Hätte, wenn und aber haben bei mir keinen Platz. Das ist nur der Versuch, ein Alibi zu bemühen.»
… über die Alternativen auf der Spielmacher-Position:
Schmid: «Jetzt setzen wir voll auf Felix Aellen und Mehdi Ben Romdhane. Aellen ist extrem jung. Ben Romdhane hat etwas mehr Erfahrung, war aber in den letzten zwei Jahren nicht in einer Hauptrolle in Schaffhausen. Es geht nur über Vertrauen und Führung. Das heisst: Ich muss während eines Spiels mehr Einfluss nehmen. Ich bin als Trainer stärker gefragt, wenn wir keinen Spieler wie Zehnder auf dem Feld haben, der Tore macht, die eigentlich nicht machbar sind.»
… über die Nati ohne Zehnder:
«Wir sind ohne Zehnder etwas unberechenbarer – für den Gegner, aber auch für uns. Ohne Zehnder fehlt uns dieser Entfesselungskünstler. Diese Eigenschaft bringt Ben Romdhane am ehesten mit. Er ist für mich ein Strassenhandballer. Er kann auch unerwartete Dinge machen. Die anderen sind eher strukturiertere, klarere Handballer.»
… über Felix Aellen:
Schmid: «Er hat im zweitletzten WM-Test gegen die Niederlande gespielt, obwohl er leicht krank war. Ich liebe seine Einstellung, seinen Willen, seinen Ehrgeiz. Spieler wie Aellen sind ein Geschenk für eine Mannschaft. Klar, er macht hin und wieder einen Fehler. Aber einem solchen Spieler verzeiht man diese, weil er alles mit hundertprozentiger Überzeugung macht.»
… über seine Prinzipien:
Schmid: «Ich will hundertprozentige Überzeugung. Das haben wir im Team besprochen. Ich werde nie Probleme haben mit Aktionen, die mit voller Überzeugung durchgeführt wurden, aber nicht erfolgreich waren. Ich werde nie ein Trainer sein, der dann vorwurfsvoll fragt: Warum hast du das Tor nicht gemacht?»
Das sei bei ihm so: «Ich investiere 100 Prozent in meine Arbeit, kann aber keine Garantie abgeben, dass wir gewinnen. Aber ich kann garantieren, dass ich mit voller Überzeugung am Werk bin. Da können Fehler passieren, keine Frage. Was ich aber hasse, sind alibimässige Aktionen, denen die Überzeugung fehlt. Das hat in unserem Sport keinen Platz.»
… über den Transfer von Gino Steenaerts zu den Rhein-Neckar Löwen:
Schmid: «Auch wenn Steenaerts zum Verein wechselt, in dem ich zwölf Jahre engagiert war, ist mein Anteil am Transfer sehr klein. Ich wurde zwar nach meiner Meinung gefragt. Aber sie haben bei den Löwen gesehen, dass Steenaerts ein Spieler ist, der ihnen weiterhelfen kann.Für mich ist das ein Sensations-Transfer. Allein, weil ich mich nicht daran erinnern kann, dass ein 19-jähriger Schweizer zu einem Bundesliga-Topklub gewechselt ist. Für unsere Liga, insbesondere für Kriens-Luzern, ist dieser Wechsel ein Ritterschlag.»
… über die nächsten Auslandtransfers:
Schmid: «Schon vor Steenaerts wurde ja bekannt, dass Joël Willecke auf die nächste Saisonzu Lemgo in die Bundesliga wechselt. Es werden weitere Spieler folgen. Felix Aellen ist bereit für den Auslandtransfer. Wäre ich Verantwortlicher bei einem Bundesligisten, würde ich mich intensiv mit ihm beschäftigen. Auch Ben Romdhane ist einer, der sich mit Schaffhausen auf der internationalen Bühne empfohlen hat. Luca Sigrist täte es sicher gut, noch in der Schweiz zu bleiben. Denn als Rückraumspieler kriegst du nicht so viel Zeit, um Fehler machen. Darum macht er diese Fehler und Fortschritte lieber in der Schweiz.»
… über die Aussichten an der WM:
Schmid: «Mit Courant-normal-Handball werden wir gegen bessere Nationen oder Gegner, denen wir auf Augenhöhe begegnen, an gewissen Tagen eine Chance haben, wenn zwei, drei Spieler über ihrem Limit spielen oder wir einen Torhüter haben, der überragend hält. Aber an gewissen Tagen werden wir keine Chance haben. Deshalb: Ich will keinen Courant-normal-Handball. Ich will Flexibilität. Flexibilität wird gegen Gegner wie Tschechien und Polen extrem wichtig sein. Denn körperlich sind sie uns massiv überlegen.»
… über die Zielsetzung:
Schmid: «Wir wollen die Hauptrunde erreichen. Heisst: Wir müssen in unserer Vierergruppe mindestens Platz 3 erreichen. Auch nach Manuel Zehnders Ausfall zweifle ich nicht eine Sekunde an diesem Ziel. In meinem Kopf sehe ich das Szenario, wie wir in der Hauptrunde vor 12’000 Zuschauern gegen Gastgeber und Titelverteidiger Dänemark antreten dürfen. Eine solche Erfahrung kann man nicht alle Tage machen.
Die Handball-Nati an der WM
Die Nati logiert während der WM in Silkeborg, die Spiele wird sie im 40 Kilometer entfernten Herning in der Arena «Jyske Bank Boxen» mit einer Kapazität von 15’000 Zuschauern bestreiten. Die Partien der Schweizer:
15. Januar, 18.00 Uhr: Tschechien – Schweiz
17. Januar, 20.30 Uhr: Schweiz – Deutschland
19. Januar, 15.30 Uhr: Polen – Schweiz
… über Deutschland-Träume:
An der letztjährigen EM kassierte die Schweiz im Weltrekordspiel vor 53’000 Zuschauern in Düsseldorfeine 14:27-Klatsche. Im November in der EM-Quali war die Natibeim 26:35 ebenfalls chancenlos.
Schmid: «Die Deutschen sind Weltklasse. Sie spielen extrem körperlich, haben enormen Speed. Sie haben eine stabile Deckung, über die sie sich definieren. Das bereitet uns Probleme. Und sie haben zwei Torhüter, die nicht unsere Lieblingsgoalies sind. Aber wir sind im November völlig falsch ins Spiel gegangen. Wir haben unseren Fokus viel zu wenig auf die Defensive gelegt. Und wir sind wie an der EM erneut mit einer falschen Wahrnehmung ins Spiel gegangen. Das darf uns nicht noch mal passieren.
Wir wollten uns mit Courant-normal-Handball mit einer Nation messen, gegen die wir in neun von zehn Fällen keine Chance haben. Wir gingen mit der Wahrnehmung ins Spiel, auf Augenhöhe den Deutschen zu begegnen. Das war falsch. Denn Fakt ist: Da sind Spieler, die deutlich besser sind als unsere. Bei denen ist alles besser, wahrscheinlich auch der Trainer. Deshalb sollten wir gegen Deutschland jene Rolle annehmen, die uns für dieses Spiel gehört: Jene des unbeschwerten, unangenehmen Aussenseiters.»
… über seine erste WM als Trainer:
Schmid: «Eine WM ist etwas vom Grössten, was du als Handballer erleben kannst. Wenn das nichts in dir auslöst, bist du innerlich tot oder im falschen Sport. Diese Teilnahme muss Nervosität, Angespanntheit, Zweifel, Überzeugung und Freude auslösen. Wir fahren nicht mal hin und schauen und unbeschwert und Trallala. Nein, gehen da rein mit allem, was wir haben. Wir werden alles investieren und alles tun für den Erfolg.»