Nach 100 Jahren Schultradition droht dem Bastelbogen das Ende
Es ist ernst. «Die Zukunft der Modellbogen ist ungewiss.» Das schreibt der Pädagogische Verlag in einer Mitteilung. Das bewährte Vertriebsmodell über die Schulen funktioniere «nicht mehr überall». Dies darum, da die Lehrpersonen überlastet seien. Die Situation, also jene für den Verlag, sei «kritisch». Die Medienmitteilung ist als «Hilferuf» benamst.
Verfängt der nicht, drohen Verlag und die kultigen Bastelbögen zu verschwinden. Der «Swissair-Jet MD-11» ebenso wie das «Schloss Chillon» oder die «Spanisch-Brötli-Bahn 1947 – Kompletter Zug». Seit über 100 Jahren (Gründungsjahr ist 1919) basteln Kinder mit den Bögen aus dem Pädagogischen Verlag. Aber eben: immer weniger. Jährlich werden mittlerweile weniger als 100’000 Exemplare verkauft. Das ist deutlich weniger als noch 1998 – damals wurden 650’000 Bastelbögen abgesetzt.
«Müssen wieder Lehrer begeistern»
«Wir sind derzeit im Überlebensmodus», sagt Ueli Fink vom Stiftungsrat. Die finanziellen Reserven seien aufgebraucht. So könne der Verlag keine neuen Bastelbögen mehr lancieren. «Dabei würden wir gerade so vielleicht ein neues Publikum erschliessen», so Fink. Er sei aber guter Dinge, dass der Turnaround klappe. Es müsse wieder mehr gelingen, in den Schulen vermehrt Lehrpersonen für die Modellbögen zu begeistern. «Der grösste Teil der Bestellungen kommt immer noch via Schulen.»
Die Bastelbögen wecken Erinnerungen: Zuerst muss alles fein säuberlich ausgeschnitten, dann ebenso fein säuberlich gefaltet und schliesslich noch mit geschicktem Einsatz von Leim zusammengeklebt werden. In Kinderzimmern spielten sich mittelgrosse Dramen ab, wenn die Falzlinie aus Versehen als Schnittlinie interpretiert wurde und all die Fleissarbeit für die Katz war. Wer aber alles richtig macht, hält am Ende ein schmuckes, dreidimensionales Objekt in den Händen. Dafür ist kein teurer 3D-Drucker nötig. Die meisten Bastelbögen kosten auch heute gerade einmal 3 Franken.
Am Preis schrauben will beim Verlag niemand. Das sei einer der Grundgedanken der Sache. «Es soll für alle erschwinglich sein», sagt Stiftungsrat Fink. Er erklärt sich den sinkenden Absatz mit der schwierigen Situation in den Schulen. Oft seien die Lehrpersonen bereits mit dem Schulstoff komplett ausgelastet und gerade jüngere Lehrerinnen und Lehrer würden die Bastelbögen gar nicht mehr kennen. Auch würde immer wieder der Aufwand für die Klassenbestellungen moniert, sagt Fink. Auch darum habe der Verlag versucht, den Bestellvorgang zu digitalisieren und zu vereinfachen.
Nicht so «flashy» wie das Handy
«Am Ende braucht es die Leidenschaft von einer Lehrperson, damit die Begeisterung bei den Kindern geweckt wird», so Fink. Der Stiftungsrat besteht aus Lehrern und Modellbogen-Fans. Bis auf eine kleine Sitzungsentschädigung erhalten sie keinen Lohn. «Wir sind schon etwas Freaks», gibt er zu. Mit dem nun publizierten «Hilferuf» wollen die Macher die Bevölkerung «etwas aufrütteln». Schliesslich hätten viele, die heute Eltern sind, noch gute Erinnerungen, wie sie als Kinder mit den Bögen gespielt haben.
Auf die Idee mit den Bastelbögen kam der Verlagsgründer, Edwin Morf, als er wegen der Spanischen Grippe ans Bett gefesselt war und etwas gegen die Langeweile tun wollte. Als erste Modelle entwarf er ein Davoser Bauernhaus, den Zürcher Hardturm und das Rennwegtor. Es wurde ein Hit. Heute kämpft der Bastelbogen gegen den Langeweile-Killer Nummer 1: die digitalen Medien. Alles ist viel schneller und «flashy», wie Ueli Fink sagt. Da hätten es die Karton-Bastelbögen schwer.
Obwohl: «Eigentlich vermittelt so ein Bogen ja genau die Kompetenzen, die auch im Lehrplan eingefordert werden», so Fink. Er meint: Ausdauer, Konzentration, Genauigkeit. Für einen Bastelbogen der schwierigen Stufe braucht es locker mehrere Stunden Fleissarbeit. «Aber das macht richtig Spass», versichert Fink. Oder wie in der Falt-und-Klebe-Anleitung zum Swissair-Jet steht: «Arbeite genau und sorgfältig; denn an einer sauberen Arbeit wirst du länger Freude haben.»