500 Prozent mehr Steuern: In diesem Kanton erleben Autofahrer gerade ihr blaues Wunder
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Und damit flattern wieder vermehrt Rechnungen in die Briefkästen. Man hofft, dass es nicht teurer wird als im Vorjahr. Einige Franken mehr mag man verschmerzen. Aber gleich eine Zunahme um 500 Prozent oder mehr? Genfer Autofahrerinnen und Autofahrern sind diese Woche fast die Augen aus dem Kopf gefallen.
Eine Gesetzesänderung führt im westlichsten Schweizer Kanton zu teils massiven Zunahmen der Motorfahrzeugsteuer – von denen niemand wusste oder wissen wollte. Dutzende Beispiele zirkulieren in den Medien. So muss eine Besitzerin eines Citroën-Familienvans aus dem Jahr 1998 neu 2100 Franken statt bisher 297 Franken zahlen. Und für einen Fiat-Campingwagen von 2015 werden 3840 statt 700 Franken fällig, wie die«Tribune de Genève»berichtete.
Bei der Genfer TCS-Sektion sind viele Anrufe von besorgten Personen eingegangen, die die Rechnungen nicht stemmen können. Am stärksten zur Kasse kommen Lenker von Autos, die älter als fünfzehn Jahre sind, sowie Fahrerinnen von Campingwagen.
Der Rechnungsschock geht auf eine Abstimmung von Anfang Jahr zurück. Im März hiess das Genfer Stimmvolk eine Vorlage gut, wonach Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor künftig nach ihrem CO2-Ausstoss besteuert werden. Dies, um den Kauf umweltfreundlicher Autos zu fördern. Das Versprechen lautete: Für zwei Drittel der Bevölkerung sinken die Steuern, jenes Drittel mit den umweltschädlicheren Autos bezahlt dagegen mehr. Insgesamt sollte es für den Staat ein Nullsummenspiel werden.
Und das wurde es auch. Nur hat offenbar niemand erwartet, dass die Steuerprogression derart hart zuschlägt – und so für alte Autos exorbitante Beträge von einigen tausend Franken fällig werden. Tausende Genferinnen und Genfer seien von massiven Steuererhöhungen betroffen, konstatierte die Kantonsregierung am Donnerstag. Das stosse auf «allgemeines Unverständnis». Tatsächlich ist der Aufschrei über alle Parteien hinweg gross. Auch linke Abgeordnete wie SP-Kantonsrat Sylvain Thévoz sprechen von einem «Schockeffekt».
Maudet übt und erntet Kritik
Das neue Gesetz entstammt einem Kompromiss von Grünen, SP, Mitte und FDP. Die Revision wurde vom Parlament als Gegenvorschlag zu einer SVP-Initiative lanciert und von der Regierung unterstützt. Die SVP wollte die Fahrzeugsteuer halbieren.
Warum hat niemand die Folgen der Revision antizipiert? Medien in der Romandie zögern nicht, von einer Genferei zu sprechen. Mobilitätsdirektor Pierre Maudet schob die Verantwortung auf dem TV-Sender«Léman Bleu»derweil dem Parlament zu: Das Projekt sei nicht zu Ende gedacht gewesen. Die angesprochenen Abgeordneten zeigten sich darüber «schockiert», sie hätten ja eng mit Maudets Departement zusammengearbeitet.
Nun versucht Genf, den Scherbenhaufen zu beseitigen. Am Donnerstag entschied das Parlament, dass die Rechnungen erst im Juni 2025 statt schon dieses Jahres fällig werden und Betroffene die Beträge gestaffelt bezahlen können. Zudem überwiesen die Abgeordneten einen ganzen Strauss an Vorstössen an die zuständige Kommission, um das Gesetz zu überarbeiten. Und um die Lehren aus dem Debakel zu ziehen.