Hat das grosse Bienensterben eingesetzt?
«Suche zwei bis drei Bienenvölker, da ich Pech hatte letztes Jahr», heisst es in einem Inserat. «Wegen Winterverlust suche ich dringend drei bis vier Jung- oder Wirtschaftsvölker», heisst es in einem anderen. Und so geht es weiter. Ein Grossteil der Kleininserate, welche auf bienen.ch, dem Portal für die Imkerei in der Schweiz, aufgeschaltet wurden, hat die Winterverluste unter den Bienenvölkern zum Thema. Und die Imker, welche sie aufgegeben haben, kommen aus fast allen Teilen der Schweiz. Der Tenor ist dabei vom Brienzer- bis zum Bodensee identisch: Die Winterverluste unter den Bienenvölkern sind gross, teilweise sehr gross.
«Auch meine Einschätzung geht dahin, dass es durchschnittlich mehr Winterverluste gibt als üblich», sagt Riccardo Plüss. Der 32-jährige Rothrister ist beruflich nach einer Zweitausbildung als Lebensmitteltechnologe nun als Fachspezialist Qualitätssicherung bei der Rivella tätig und seit fünf Jahren begeisterter Imker und Mitglied im Wiggertaler Bienenzüchterverein. Erst kürzlich hat Plüss den Kaderkurs für Betriebsberater von BienenSchweiz, dem Imkerverband der deutschen und rätoromanischen Schweiz, abgeschlossen und ist damit berechtigt, angehende Imkerinnen und Imker in den Grundkursen auszubilden.
Verluste sind unterschiedlich ausgefallen
Es sei allerdings momentan noch schwierig, die Höhe der Winterverluste genau zu beziffern. «Solange die Erhebungen des nationalen Dachverbands apisuisse nicht abgeschlossen sind, fehlt eine wasserdichte Einschätzung», sagt Plüss. Allerdings sei auch während seiner Ausbildung zum Betriebsberater über Winterverluste diskutiert worden. «Höher als üblich», sei dort der allgemeine Tenor gewesen.
Aus dem Wiggertaler Bienenzüchterverein, der aktuell 163 Mitglieder zählt, seien die Rückmeldungen dagegen äusserst unterschiedlich ausgefallen. «Die Bandbreite reicht von ‹praktisch keine Verluste› bis hin zu ‹Totalausfall›», sagt Plüss. Er selber sei glimpflich davongekommen, hat er doch nur eines seiner sechs Bienenvölker verloren. Wesentlich mehr betroffen waren andere Imker. Der Ehrenpräsident des Wiggertaler Bienenzüchtervereins, Martin Ammeter, hat über den Winter beispielsweise rund die Hälfte seiner Völker eingebüsst.
«Wenig überraschend», wie Ammeter meint. Er habe grössere Verluste schon im vergangenen Herbst vorausgesehen, weil viele Winterbienen nicht den notwendigen Fettkörper bilden konnten, um sechs Monate überleben zu können. Zudem sei auch zu bedenken, dass das Honigjahr 2021 eines der schlechtesten, wenn nicht gar das schlechteste in den letzten 50 Jahren gewesen sei. Schon die Frühjahrstracht sei ins Wasser gefallen, auch die Obst- und Rapsblüte hätte von den Bienen wegen des nassen und kalten Wetters kaum genutzt werden können. Das habe zur Folge gehabt, dass Imkerinnen und Imker vielerorts in jenen Monaten sogar zufüttern mussten, in denen normalerweise die erste Honigernte anstehe. «Zuckerwasser ist nicht Nektar» – auf diese Kurzformel bringt Ammeter die Auswirkungen der Wetterkapriolen auf die Gesundheit der Bienenvölker. Allerdings gelte es aber zu bedenken, dass die Bienen nur dank des Zufütterns von Imkerinnen und Imkern überlebt hätten.
Plüss hingegen sieht einen anderen Faktor als hauptverantwortlich für die hohen Winterverluste an: die Varroamilbe. Ende Sommer, Anfang Herbst werden die Bienenvölker jeweils mit Ameisensäure gegen die Varroamilbe behandelt. «Ich habe damals die Beobachtung gemacht, dass die Ameisensäure bei der Behandlung nicht richtig verdampft ist, weil die Luftfeuchtigkeit zu hoch war», sagt Plüss. Er gehe deshalb davon aus, dass die Varroamilbe, die als Parasit an Honigbienen lebt, in vielen Bienenstöcken überleben konnte und die Milbe die Anzahl der Bienenvölker teils drastisch reduziert habe.
Trotzdem positiv in die Zukunft schauen
Einen weiteren Grund für die grossen Winterverluste sehen beide Imker darin, dass viel Futter in den Waben kristallisiert ist. «Die Bienen steckten mit dem Kopf im vollen Nahrungstopf, konnten die Nahrung aber nicht aufnehmen, weil sie fest statt flüssig war», sagt Ammeter. Wieso das passierte, ist nach wie vor nicht klar. «Abklärungen beim Zuckerlieferanten laufen», betont Ammeter. Während für Ammeter der Zucker als «Übeltäter» im Vordergrund steht, ist das für Plüss nicht erwiesen. «Es gibt auch im Efeunektar Stoffe, die kristallisieren können», sagt er.
Trotz grosser Völkerverlusten – für die beiden Imker gibt es keinen Grund, für die Zukunft schwarz zu sehen. Es gebe sicher Völker, welche Potential hätten, betont Plüss. «Und die letzten Tage haben mir sehr gefallen», sagt er beim Besuch des «Zofin- ger Tagblatts» am 11. April, «der Löwenzahn ist richtiggehend in die Höhe geschossen – es könnte bald losgehen mit dem Honig.»
Tatsächlich zeigt denn später auch ein Augenschein, dass bei den Bienenkästen schon emsiger Betrieb herrscht. Nun hoffe er darauf, dass es die nächsten Wochen nicht mehr allzu kalt werden und es auch keinen Dauerregen gebe. Denn nur allzu gern würde Plüss dieses Jahr wieder Blütenhonig, den er persönlich dem Waldhonig vorzieht, ernten. «Weil meine Vorräte schon länger aufgebraucht sind», wie er bedauernd meint.
Auch bezüglich Waldhonig sehen die Imker durchaus positive Vorzeichen. «Die Läusepopulationen in den Wäldern haben sich gut erholt, weil es im vergangenen Jahr kaum Wespen gab», sagt Ammeter. Das sei schon mal eine wichtige Grundvoraussetzung für eine gute Sommerernte. Doch bis es so weit ist, kann noch viel passieren. Er hoffe in erster Linie darauf, dass es nicht zu grossen Stürmen oder Unwettern komme, welche die gute Ausgangslage wieder «wegblasen» würden, meint Ammeter, denn es wäre für die Bienenvölker nach dem schlechten 2021 wichtig, in diesem Jahr möglichst viel Nektar sammeln zu können.