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An der Kunstmesse «Liste» ist die Kunst auf wichtiger Mission

Die Liste ist die aufregendere Kunstmesse als die Art Basel. Das beweist sie auch in diesem Jahr.

Schöngeistiges gibt es an der Art Basel zuhauf. Hier wird Kunst ausgestellt, die Millionen erzielen soll. Bei der Liste ist das im Grunde nicht anders: Aufstrebende Galerien preisen aufstrebende Künstlerinnen und Künstler an. Sie gilt als «Entdeckermesse». In den vergangenen Jahren war das wörtlich zu verstehen, am alten Standort im Warteck überraschte hinter jedem Winkel ein weiterer Gang. Es konnte durchaus passieren, dass das Messepublikum einen Raum übersah.

Das sollte am neuen Standort am Messeplatz in der Halle 1.1. nicht mehr geschehen. Der Pandemie wegen zog man hierher. Nun im zweiten Jahr und in der ersten Durchführung «post Corona» finden in der Architektur des belgischen Büros «Office» sogar fünf Galerien mehr Platz als noch 2019. Sie sind angetreten mit 60 Solo- und 20 Gruppenpräsentation, gut die Hälfte zeigt Kunst von Frauen.

Ob die Liste auch künftig am Messeplatz bleibt, wird nach dieser Ausgabe entschieden. Auch wenn der neue Standort weniger Abenteuerspielplatz und mehr Messe ist, bleibt man mutig und behält sich die Freiheit, Positionen zu zeigen, die unbequem sind.

Die Messearchitektur von OFFICE Kersten Geers David van Severen i.c.w lässt nichts übersehen.
Gina Folly

Die Liste bezieht klare Position

Wo an der Art blumige Utopien zu sehen sind, liegt die Natur hier in Schutt und Asche. Die jungen Kunstschaffenden sehen die Welt als schaurige Dystopie: Da zucken Öl-verklebte Maschinen-Vögel als Vorboten einer Zukunft, die man lieber nicht erleben will (Samuel Gerrero, Lodos Gallery Mexiko). In albtraumhaften Szenen fallen im urbanen Dschungel Affen vom Dach (Vijay Masharani, Clima, Mailand). Und wo sogar Tiger rauchen, ist von der heilen Welt wenig übrig (Kelvin Kyung Kun Park, Vanguard, Schanghai).

Kunst muss nicht politisch sein. Aber sie kann und sie will das – zumindest jene, die an der Liste zu sehen ist. Kuratorin Joanna Kamm positioniert ihre dritte Ausgabe klar und deutlich «gegen Russlands menschenverachtende Invasion in die Ukraine». So steht es im Programm, und so zeigt es sich im Messerundgang.

Der zentrale Platz gehört der Ukraine

Wie schon die Biennale in Venedig, räumt nun auch die Liste ihren zentralen Platz frei für einen Auftritt ukrainischer Künstlerinnen und Künstler. Kuratorin Martha Kirszenbaum hat gemeinsam mit Oleksandra Pogrebnyak und Daria Shevtsova vom PinchukArtCenter in Kiew ein Filmprogramm zusammengestellt, das in 19 Videos, also in 19 Facetten aktuelles ukrainisches Kunst- und Kulturschaffen porträtiert. «Wir wollen keinen Krieg», murmeln etwa im Video von Piotr Armianovski zwei Schuljungen aus der Donetsk-Region. Die Plastikpistolen tragen sie «nur für ein Kinderspiel», sagen sie.

Der zentrale Platz gehört dem Filmprogramm «The Sky Is Getting Closer» von Martha Kirszenbaum.
Gina Folly

Ukrainische Kunst gibt es an der Liste aber nicht nur im Sonderprogramm. Die zwei russischen Galerien Osnova und Fragment, die ursprünglich in Basel hatten ausstellen wollen, haben ihre Stände an zwei Galerien aus der Kiew abgegeben.

Ein wichtiges Statement

Die Kuratorinnen Lizaveta German und Maria Lanko, die auch den ukrainischen Pavillon an der Kunstbiennale in Venedig bespielt haben, sind mit ihrer Galerie The Naked Room in Basel. Mitgebracht haben sie die Malerei der drei jungen Künstlerinnen Katya Buchatska, Lucy Ivanova und Kateryna Lysovenko. Wenige Stände weiter hat sich die Voloshyn Gallery eingerichtet. Fast drei Monate hat die Organisation des Transports der Arbeiten gedauert, berichtet Mitarbeiterin Anna Kopylova, die nach der Messe nach Kiew zurückkehren wird. Sie sagt:

«Es ist wichtig, zu zeigen, dass wir hier sind, dass wir präsent sind. Das ist unsere Mission.»

Die Voloshyn Gallery tut dies mit einer klaren Botschaft, in der Mitte der Box stehen zwei betonierte Militärstiefel stramm. Der Krieg ist in allen Arbeiten von Nikita Kadan, Lesia Khomenko und Mykola Ridnyi zentrales Thema.

Neben der Publikation von Understructure  zeigt die Galerie LC Queisser Arbeiten von Sitara Abuzar Ghaznawi und Elene Chantladze.
Gina Folly

Um konkrete Hilfe geht es dem Projekt des Kollektivs Understructure. Am Stand der georgischen Galerie LC Queisser gibt es für eine Spende an die Ukraine einen Bildband über Glücksbringer und Amulette – die in harte Währung aufgewogen hoffentlich ihr Versprechen einlösen.

Die ukrainischen Arbeiten zeigen, dass wir neue Dystopien gar nicht brauchen, der Schrecken ist nah genug. Kunst muss nicht politisch sein, aber sie ist es hier als selbstbewusstes Statement im Rampenlicht neben der wichtigsten Kunstmesse der Welt.