Wo Kilts und Clans sich treffen: In Scherz fliegen am Wochenende die Baumstämme
Es ist ein Sport, der erst langsam an Bekanntheit gewinnt: Aus den schottischen Highlands herkommend, haben es Disziplinen wie der Baumstamm- oder der Gewichtweitwurf mittlerweile auch in die kleinen Schweizer Dörfer geschafft – zum Beispiel nach Scherz, einem Ortsteil von Lupfig.
In grünem Kilt und schwarzen Clanshirts wuseln bärtige Männer über die Wiese an der Unterdorfstrasse, einer trägt – als wäre es ein Klacks – einen entrindeten Baumstamm zum Übungsterrain des Vereins Highlander Midgards. «Kannst du mir noch ein grösseres T-Shirt bringen?» und «Hier müssen wir ein Kettenglied ersetzen», ertönt es über den Platz. Die Stimmung ist an diesem Montagabend Mitte August locker und unbeschwert.
Bloss Yoshi Maillard, der nach einem Jahr Pause wieder in den Sport eingestiegen ist, tut sich etwas schwer: «Du hast gerade erst wieder angefangen, geh es langsam an!», ruft Präsident Tobi Leppert über den Platz, während Maillard seinen Frust lautstark auf Französisch kundtut. Der nächste Wurf klappt bereits viel besser, dank der Instruktionen und Tipps, die Leppert bereithält.
Mit Schottland nichts am Hut – Kilt tragen trotzdem alle
Seit 2008 engagiert sich der bärtige Zürcher mit schottischem Flair für die Highland Games, zweimal wöchentlich übt er sich aktuell in den traditionell nordischen Sportarten. Sein Beruf als Liftmonteur kam Leppert hierbei nicht nur bezüglich körperlicher Fitness zugute: «Als ich den Verein 2023 gemeinsam mit Marco Müller und Deborah Leppert gegründet habe, bestand ein Grossteil aus Arbeitskollegen», sagt er lachend.
Mittlerweile gehören die Highlander Midgards schweizweit zu den grösseren Vereinen in diesem Genre. 26 Mitglieder gehören dem Scherzer Club an, 10 davon sind aktiv tätig. Schottische Wurzeln bringt niemand mit, einzig die Liebe zum Sport verbindet – und der gemeinsame Spass im Training und an Wettkämpfen. «Um die meistgestellte Frage gleich am Anfang zu beantworten: Ja, wir tragen etwas unter dem Kilt», witzelt Tobi Leppert an diesem Abend etwa – und trägt damit zum allgemeinen Amüsement der Anwesenden bei.
«Der Verein ist gut gewachsen», gibt sich Co-Gründer Marco Müller zufrieden, während er am Rand des Platzes seinen Kollegen beim Aufbau zuschaut. «Am Anfang nahmen an den Wettkämpfen fast nur Leute unseres eigenen Vereins teil – mittlerweile können wir in jeder Kategorie gegen Mitglieder anderer Clans antreten.»
Die Kategorisierung verläuft bei den Wettkämpfen nach Geschlecht, Gewicht und Alter: Mit 40 Jahren tritt man automatisch in die Kategorie der Masters ein. «Vier Jahre habe ich noch, dann ist es auch für mich so weit», grinst Tobi Leppert. Die Highland Games sind noch immer ein Nischensport, und der Vereinspräsident hofft, dass unter anderem durch den bevorstehenden Tag der offenen Tür mehr Menschen Gefallen an der rauen Sportart mit ihrem ureigenen Charme finden.
Tobi Leppert begann seine Karriere in einem Verein in Urdorf, bei den Limmattaler Lowlanders, welche er selbst mitgründete. Später ermunterte er seinen Arbeitskollegen Marco Müller zum Beitritt. Als ihnen die Mentalität beim Urdorfer Club nicht mehr passte, gründeten sie kurzerhand ihren eigenen Clan: «Richtig viel Glück hatten wir auch mit dem Feld, auf dem wir jetzt üben», sagen die beiden einhellig. 50 auf 50 Meter braucht es fürs Training im Minimum. Platzmangel ist denn laut Leppert auch das Hauptproblem der Highlanderszene in der Schweiz: «Es gibt viele Vereine, doch die wenigsten haben einen Trainingsplatz.»
Hier sind die Gegner auch Freunde
Der Sport der Highlanders ist von Zusammenhalt und Fairness geprägt. «Klar kämpft hier jeder gegen jeden – aber jeder hilft auch jedem», bringt es Marco Müller auf den Punkt. Auch für Debi Leppert ist die gute Stimmung ein grosses Plus an diesem Hobby. «Besonders die Clanwettkämpfe fördern den Zusammenhalt. Es schweisst schon zusammen, wenn man zu viert einen Baumstamm ums Lager tragen muss», schmunzelt sie. Der kleine Sohn des Präsidentenpaars ist auch schon mit von der Partie: Etwas über ein Jahr alt, begnügt er sich damit, auf den Schultern seines Vaters zu sitzen und beim Training zuzuschauen.
Für diese familiäre Atmosphäre steht auch der Name Midgard. Er bedeutet in der nordischen Mythologie Welt. «Unser Gedanke war, dass jeder in unserem Clan seinen eigenen Hintergrund und seine eigene Geschichte hat und wir trotzdem zusammengehören», erklärt Debi Leppert. Ursprünglich aus Baden stammend, lebt sie mit Tobi und Sohn Ayden in Widen, weitere Mitglieder kommen aus Scherz, Zürich oder Untersiggenthal. Debi Leppert war ursprünglich als Fotografin für die Clans tätig, bevor sie mit der Gründung der Highlander Midgards ihre Freude am Aktivsport fand: «Man kann so viele unterschiedliche Sachen ausprobieren und sich draussen auspowern, ohne von Anfang an komplexe Techniken oder Strategien anwenden zu müssen.»
Die Highlanders sind eine soziale Community
In der männerdominierten Szene findet sich Debi Leppert als eine von wenigen Frauen wieder. Die gelernte Radiologiefachfrau ist froh, wenn sie nach einem langen Arbeitstag Ausgleich beim Stein- oder Gewichthochwurf findet.
Ihr Mann kann dem nur zustimmen. Verschleisserscheinungen kennt der 35-Jährige auch nach sechzehn Jahren Highland Games kaum: «Ich hatte letztes Jahr eine Schulteroperation, ironischerweise aber links», erzählt er. «Ich bin Rechtshänder und werfe in drei von fünf Disziplinen ausschliesslich mit rechts.» Diese Seite bereite ihm noch keine Beschwerden, winkt der breitschultrige Mann ab und packt sich ein Eisengewicht fürs Hochwurf-Training.
Bald wird die Wiese, auf der die Gruppe trainiert, mit bunten Kilts und schaulustigen Zuschauenden gefüllt sein. Für die Schweizer Meisterschaft, die am Sonntag nach dem Tag der offenen Tür in Scherz stattfindet, haben sich Europameister Christian Schnider und drei Träger des Weltmeistertitels angekündigt.
Die Weltmeisterschaft im letzten Jahr war ein besonderer Event, erinnert sich Marco Müller. Sie wurde extra so gelegt, dass die amtierende Weltmeisterin, die einen Tag vorher ihren 40. Geburtstag feiern konnte, im Masters mitmachen konnte. «Wir haben zusammen gefeiert, und am nächsten Tag hat sie den Weltmeistertitel geholt», blickt Müller zurück. Seine Worte machen deutlich: Die «Highlander» sind eine eng gestrickte Community, in der man sich gegenseitig unterstützt und wertschätzt.
Tag der offenen Tür und Schweizer Meisterschaft in Scherz
Wer sich ein Bild der eindrücklichen Sportart machen will, hat am Wochenende vom 24. und 25. August an der Unterdorfstrasse 58 in Scherz Gelegenheit dazu. Am Tag der offenen Tür bieten die Highlander Midgards allen Besuchenden ab 13 Uhr ein offenes Highland-Games-Training an. Dabei können alle Disziplinen unter fachkundiger Anleitung ausprobiert werden.
Am 25. August finden dann ab 9 Uhr der Heavy Event und die Schweizer Meisterschaft in der Klasse Lightweight statt. An beiden Tagen werden Speis und Trank angeboten. Er freue sich sehr auf den Anlass, sagt Mitorganisator Marco Müller. Der Wissensaustausch unter den Vereinen und während der Turniere sei ebenso toll wie die ungezwungene Atmosphäre auf dem Platz. «Und wer weiss, vielleicht bekommt man am Sonntag auch den ein oder anderen Tipp von einem Europa- oder Weltmeister der Highlander-Spitzenklasse.»