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Iran-Politik in der Sackgasse? Kommission verliert Geduld mit Cassis – und Mullahs verschleppen Menschenrechtsdialog

Nach der zweiten Hinrichtung eines jungen Iraners sehen sich in Bern die Kritiker der stillen Diplomatie bestätigt: Mitte-Links fordert eine harte Reaktion von Ignazio Cassis, einzelne stellen die guten Dienste im Iran in Frage. Teheran spielt derweil bei heiklen Themen auf Zeit.

Die Ungeduld war schon am 22. November gross: An ihrer Sitzung in Genf beauftragte die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK) den Bundesrat, die iranische Bevölkerung in ihrem Kampf für Frauen- und Menschenrechte zu unterstützen. Zudem solle er EU-Sanktionen gegen Mitglieder des iranischen Regimes übernehmen.

Das war zwei Wochen, bevor das Regime der Mullahs damit begann, Todesurteile gegen Demonstranten zu vollstrecken. Zwei junge Männer wurden in den letzten Tagen hingerichtet. Das sorgte weltweit für Proteste. Auf der Todesliste des Regimes stehen über zwei Dutzend weitere Namen.

In Bern führen die Vorgänge derweil zu Kritik am Aussendepartement (EDA) von Bundespräsident Ignazio Cassis. Dieses setzt einmal mehr auf stille Diplomatie. Die erste Hinrichtung verurteilte es diskret in einem Tweet, in dem auch die Hinrichtung eines Mannes in Afghanistan erwähnt wurde. Der Tweet, so der Eindruck, richtete sich gegen die Todesstrafe generell – weniger gegen das Regime in Teheran.

Diese Zurückhaltung hat Tradition, wie sich schon im Jahr 2020 beim Fall von Navid Afkari zeigte. Dieser wurde trotz internationaler Proteste hingerichtet, notabene kurz nach einem Besuch Cassis’ in Teheran. Viele westliche Regierungen protestierten laut, die Schweiz nur hinter den Kulissen. Als Grund für die diskrete Kritik werden oft die Guten Dienste für die USA in Teheran angeführt, die man nicht gefährden wolle: Das Mandat eröffne der Schweiz Möglichkeiten, sich in Teheran direkt für die Menschenrechte einzusetzen, so die Argumentation.

Neue parlamentarische Gruppe und Patenschaften für zum Tode Verurteilte

Doch bei Mitte-Links verfängt dies nicht mehr: «Der Bundesrat erreicht nichts, wie die jüngsten Ereignisse zeigen», sagt SP-Aussenpolitiker Fabian Molina: «Die Behauptung, man erreiche hinter den Kulissen mehr, hat sich als nicht zutreffend erwiesen.» Auch Marianne Binder, Mitte-Nationalrätin aus dem Aargau, fordert deutlichere Worte aus dem Bundesrat: «Die Schweiz geniesst in der Exilgemeinschaft der Iranerinnen und Iraner hohes Ansehen bezüglich ihres Engagements für Menschenrechte. Der Bund muss diesem Ruf nun gerecht werden und Taten folgen lassen.»

Einen Schritt weiter geht Sibel Arslan. Die Grüne Nationalrätin fragt: «Ist das Schutzmachtmandat noch tragbar?» Letztlich diene dieses auch dem Regime und dessen Machterhalt. Es sei wichtig, dass die iranische Bevölkerung die Solidarität der Schweiz spüre. «Der Bundesrat muss das Vorgehen des Regimes verurteilen und mit allen Mitteln dafür kämpfen, dass keine weiteren Todesurteile vollstreckt werden», sagt Arslan. Auch sie fordert «personalisierte Sanktionen» gegen Mitglieder des Regimes.

Zusammen mit Mitte-Vertreterin Binder lancierte sie am Montag die Gründung einer neuen parlamentarischen Gruppe «Free Iran». Und weiter: «Wir wollen zudem für jede zum Tode verurteilte Person eine Patenschaft gründen, mit dem Ziel, diesen Menschen zu helfen.»

Bund beordert höchsten Vertreter Irans ins Aussendepartement

Auf Anfrage widerspricht das Aussendepartement: Man sei sehr wohl aktiv. So werde der Chargé d’Affaires der iranischen Botschaft, derzeit der höchste Vertreter des Regimes in Bern, noch diese Woche ins EDA einbestellt. Schon bei der ersten Hinrichtung habe man unverzüglich bei den iranischen Behörden interveniert. Weiter erinnert das EDA an seinen «kritischen Dialog mit der iranischen Regierung», etwa zur Todesstrafe und den Menschenrechten. «Die Schweiz ist der Ansicht, dass sie mit diesem Ansatz langfristig die meisten Ergebnisse für das iranische Volk erzielen kann.»

Was das EDA nicht schreibt, aber gut informierte Quellen bestätigen: Die Mullahs in Teheran zeigen wenig Interesse, mit dem Bund über Menschenrechte zu reden. Schon seit einiger Zeit sei eine Gesprächsrunde geplant, heisst es. Eigentlich hätte diese noch in diesem Jahr stattfinden sollen. Doch Teheran habe sie stets verschoben, heisst es. Nun schreibt das EDA, es gebe einen Termin «Anfang 2023». Man wird sehen.

Immerhin: Von rechtsbürgerlicher Seite wird der Kurs von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis gestützt. «Die Menschenrechtsverletzungen werden von uns allen verurteilt», sagt APK-Präsident Franz Grüter (SVP). Doch stelle sich die Frage, wie der Bund den Menschen im Iran am besten helfen könne. «Und da wurden wir von Nichtregierungsorganisationen inständig gebeten, die Schweiz möge ihren privilegierten Zugang über die Guten Dienste und das Schutzmachtmandat nicht aufs Spiel setzen.» So lasse sich für die Opfer des Regimes am meisten erreichen, sagt Grüter. «An dieser Ausgangslage ändert auch eine Verschärfung der Situation nichts.»