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Sean Penn besuchte Selenski und El Chapo: Ist er ein mutiger Kämpfer oder naiver Kriegstourist?

Ob im Dschungel bei Drogenkönig El Chapo oder im Krieg bei Selenski: Wo es brennt, taucht bald US-Schauspieler Sean Penn auf.

Eine Disziplin allein reicht ihm nicht. Der Geltungsdrang von Hollywood-Ikonen wie Will Smith erreicht nicht annähernd die Sphären, in denen sich Sean Penn bewegt.

Penn, 61 Jahre alt und zweifacher Oscar-Gewinner, spielte vom Mörder in der Todeszelle («Dead Man Walking») bis zum ermordeten schwulen Bürgermeister («Milk») ein breites Figurenspektrum, verfilmte als Regisseur Romane von Friedrich Dürrenmatt («The Pledge») und Jon Krakauer («Into the Wild»), half in Haiti nach der Erdbeben-Katastrophe, traf den mexikanischen Drogen- und Ausbrecherkönig El Chapo zum Interview und weibelte während der Pandemie für die Coronapolitik der Weltgesundheitsorganisation.

Nun setzt er sich ein für den ukrainischen Präsidenten, den er einen Freund nennt, und für eine bedingungslose Unterstützung des Widerstands der Ukraine gegen Russland. Penn besuchte die erste Kriegs-Pressekonferenz Selenskis, zeigte sich zu Fuss auf der Flucht und gab sich im amerikanischen Fernsehen überzeugt: «Die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen.»

Woher kommt dieser riesige Tatendrang? Nützt er? Und was bringt es eigentlich, wenn einer wie er offen mit dem Gedanken spielt, an der Seite der Ukrainer in die Schlacht zu ziehen?

Sean Penn als Journalist

Penn war schon länger engagiert ausserhalb des Kino. Und wusste sich in Szene zu setzen. 2005 schnappte er sich ein Gummiboot und zog nach der Hurrikankatastrophe in New Orleans Menschen aus dem Wasser, gut dokumentiert vom mitgebrachten Fotografen freilich. 2010 campierte er mehrere Monate im von einem Erbeben zerstörten Haiti.

Richtig viel Aufmerksamkeit erhält er 2015, als es ihm als ersten gelingt, mit dem sagenumwobenen Chef des mächtigen mexikanischen Sinaoloa-Drogenkartells El Chapo Guzman, ein Interview zu führen. Das Magazin «The Rolling Stone» druckt das Interview ab. Wobei Interview ein grosses Wort ist für einen Text, der sich hauptsächlich darum dreht, wie Sean Penn mit Hilfe einer mexikanischen Schauspielerin zum Termin mit dem kurz vorher aus einem Hochsicherheitsgefängnis ausgebrochenen Chapo geschleust wird. Effekthascherei oder steckt mehr dahinter?

Zunächst liest sich Sean Penns Text fast wie ein Drehbuch und ist sehr unterhaltsam. Den Drogenboss Chapo nennt er den «wahren Präsidenten Mexikos», der wie ein «Robin Hood» im verarmten Bundesstaat Sinaloa für Essen, Verkehrsinfrastruktur und Spitäler sorgt. Auf der abenteuerlichen Fahrt zu El Chapo, werden Penn und seine Komparsen begleitet von Chapos Sohn. Penn ist beeindruckt von dessen Armbanduhr, «die mehr Wert hat als das Geld, das auf den Nationalbanken der meisten Ländern liegt».

Beim Treffen mit dem Drogenboss selbst kommt es fast zur Katastrophe, und das in zweifacher Hinsicht. Später stellt sich heraus, dass die mexikanischen Drogenjäger, unterstützt von den USA, just in der gleichen Zeit El Chapo festnehmen wollten. Es sollte danach aussehen, als hätte Sean Penn die Fahnder zum Versteck des meistgesuchten Mannes der Welt geführt. Wahrscheinlicher ist indes, dass die USA und Mexiko schon länger über den Aufenthaltsort El Chapos Bescheid wussten.

Vor Ort trifft Penn zudem auf einen narzisstischen Mann, der sich vor allem auf eine Verfilmung seines Lebens freut. Das Ziel des Filmemachers aus Hollywood liegt freilich ganz woanders: Mit dem Interview will Penn den USA und der Welt zeigen, dass der Drogenkrieg gescheitert und ein Umdenken in Richtung Liberalisierung des Drogenmarktes notwendig ist.

In seinem Interview fragt Penn den Drogenbaron:

«Glauben Sie, es stimmt, dass Sie für die grosse weltweite Drogenabhängigkeit verantwortlich sind?»

El Chapo antwortet: «Das ist falsch, denn an dem Tag, an dem es mich nicht mehr gibt, wird der Handel in keiner Weise zurückgehen. Denn der Drogenhandel hängt nicht nur von einer Person ab. Er hängt von vielen Menschen ab.»

Für Penn ist es der zentrale Punkt: Solange die Nachfrage hoch bleibt, und gerade die USA täten nichts dagegen, werde der illegale Drogenhandel, und damit die Produktion und der Handel durch die mexikanischen Kartelle weiterflorieren. Die Message seines Textes verpufft indes. Just am Tag, als das Interview erscheint, wird El Chapo erneut verhaftet. Er sitzt nun in einem US-Hochsicherheitsgefängnis ein. Von Sean Penns Reise bleibt der Eindruck, er habe die Fahnder wie ein naiver Trampel zum Ziel geführt. Auch wenn es nicht stimmt.

Durststrecke im Kino

Als Schauspieler machte sich Sean Penn unsterblich. Ikonenhaft seines Hauptrollen in «Milk» und «Mystic River», für die es zurecht den Oscar gab. Zuletzt war er im oscarnominierten «Licorice Pizza» in einer Nebenrolle zu sehen. Und in Cannes letztes Jahr trat er als Regisseur und Hauptdarsteller an der Seite seiner Tochter mit «Flag Day» über einen berühmten US-amerikanischen Fälscher an – und erntete miese Kritiken. Noch diesen Monat startet im Streaming die Mini-Serie «Gaslit» über den Watergate-Skandal, in der er an der Seite von Julia Roberts zu sehen ist.

Man wird den Eindruck nicht los, die Schauspielerei und das Filmemachen ist für Sean Penn zur Nebensache mutiert. Wie ein Hansdampf taucht Sean Penn überall dort auf, wo es kriselt und bald auch gefährlich wird.

Sean Penn als Helfer im Krieg

Am Tag der Invasion Russlands in der Ukraine am 24. Februar taucht Sean Penn plötzlich an der Pressekonferenz des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski in Kiew auf. Es war die erste Pressekonferenz des ehemaligen Comedian als Kriegspräsident. Das Bild mit Sean Penn, unverkennbar sein zerzauster Wuschelkopf, in vorderster Reihe, weckt wieder die Neugier. Ist Sean Penn etwa so schnell hingereist? Ist der Mann ein Krisentourist, gar ein Kriegstourist?

Für das US-amerikanische News-Portal Vice – bekannt etwa für seine aufsehenerregende Reportage aus der IS-Hauptstadt Raqqa 2015 – hat Penn seit November letzten Jahres in der Ukraine gedreht. In einem Gespräch mit dem Fernsehsender MSNBC letzte Woche werden einzelne Szenen eingeblendet. Im Studio erzählt ein kurz vorher aus der Ukraine zurückgekehrter Sean Penn: «Ich war einen Tag vor Ausbruch des Krieges mit Präsident Selenski zusammen und am Tag des Kriegsausbruchs». Den ukrainischen Präsidenten, der mit seiner Standhaftigkeit massgeblich die Moral und den Widerstand der Ukrainer gegen den russischen Invasor prägt, nennt Penn als «seinen Freund».

Wie gefährlich das Filmemachen im Kriegsgebiet ist, zeigte etwa die gezielte Hinrichtung des litauischen Filmemachers Mantas Kvedaravicius Anfang April. Kiew und die Ukraine werden Sean Penn jedenfalls doch zu brenzlig. Während sein Freund Selenski sich täglich zum Beweis aus der Kiewer Innenstadt an die Bevölkerung richtet, twittert Sean Penn am 28. Februar, dass er das Land nun verlasse.

Sean Penn ist der Schauspieler Hollywoods, an dessen Schuhen nicht nur in Filmen Staub klebt. Nach seiner Flucht aus der Ukraine baut er in Polen zunächst Hilfsstrukturen mit seiner NGO Core für Geflüchtete aus der Ukraine auf. Nun ist Sean Penn zurück in den USA. In mehreren Interviews hat er bekräftigt, mit dem Gedanken zu spielen, selbst zur Waffe zu greifen für die Ukraine. Es sei der Gedanke, der einem wie ihm in der Ukraine kommen müsse.

«Wenn ich länger in der Ukraine geblieben wäre, dann wahrscheinlich mit einer Waffe in der Hand», sinniert Penn gegenüber dem Magazin «The Hollywood Authentic.» Auf eine Schutzweste, so Penn, hätte er verzichtet. «Denn als Ausländer würde man die Schutzweste einem der zivilen Kämpfer geben wollen, der sie nicht hat, oder einem Kämpfer mit mehr Fähigkeiten als ich, oder einem jüngeren Mann oder einer jüngeren Frau, die länger kämpfen könnten oder was auch immer.»

Wegen seines Engagements muss Penn sich vieles vorwerfen lassen. Hat er den «Weisser-Retter-Komplex»? Ist er ein Kriegstourist, ein Trampel, der zum Schluss mehr schadet als nützt?

Penn fragte Präsident Selenski zuletzt, ob sich die Ukraine seine Rückkehr wünscht oder nicht. Immerhin scheint er also aus dem Fiasko nach der Reise zu El Chapo gelernt zu haben.