Mein Kritikerinnenberuf ist manchmal ein Scheissgeschäft – und immer bleibt etwas kleben
Das Ding roch verdächtig. Und doch wollte ich es wissen. Journalisten sind neugierig. Schliesslich lag das Paket auf meinem Redaktionstisch, es war an mich persönlich adressiert. Postwendend zog ich an den Schnüren, schnitt einen Knoten entzwei, nestelte, fingerte, ganz genau erinnere ich mich an jeden Handgriff, als wäre es gestern passiert. Im schmalen Karton, von Hand säuberlich beschriftet – lag Hundekot. Ein braunstinkender Haufen.
Nur weg, weit weg! Reflexhaft verschloss ich das Paket, wickelte es in zahllose Ausgaben der «Neuen Zürcher Zeitung» – aus wörtlich nahe liegenden Gründen, ich arbeitete für sie – und schmiss den ganzen Packen in den Müll. Doch erledigt war der Scheiss damit nicht. Die Hände, schien mir, müffelten noch ein paar Tage, und trotz eines Walds von «Wunderbäumen», den ich im Büro wachsen liess, fühlte ich mich dort eine elende Ewigkeit lang – beschissen. War ich wütend? Ich war erschüttert ob des Hasses, den einer meiner Texte augenscheinlich ausgelöst hat. Der Sender, die Senderin war anonym.
Die Leserschaft ist kreativ: «Ersaufen Sie im Zürichsee!»
Man ist sich als Kritikerin einiges gewohnt. Man teilt aus, und man steckt ein. Das sind die Spielregeln. Eine Lieferung Hundescheisse allerdings wie damals – oder die Scheiss-Attacke im Theater-Foyer, wie es der Tanzkritikerin der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», Wiebke Hüster, am Wochenende zustiess – zählt konkurrenzlos zu den massivsten Reaktionen.
Die Leserschaft, das habe ich gelernt, kann es subtiler. Sie ist schriftlich ungemein kreativ, wenn sie ihren Ärger über einen Artikel formuliert. So wird man vom Publikum beispielsweise aufgefordert: «Ersaufen Sie doch im Zürichsee!» oder ferndiagnostiziert: «Sie sind ja eine ungefickte Lesbe!» Und, eine weitere Version, wenn auch falsch abgebogen aufgrund meines Vor- und Zunamens: «Sie italienischer Macho, Sie haben ja keine Ahnung von Schweizer Frauen!»
Wenn Künstlerinnen und Künstler sich äussern, deren Werk man – nicht freiwillig – hart angefasst hat, kann es ganz schnell gehen, dass die Zurechnungsfähigkeit der Schreibenden in Frage gestellt wird. Wahrscheinlich auch deshalb, weil man eben kein Macho, sondern eine Frau ist: «Sie sind doch krank! Sie sind nicht bei Verstand! Lassen Sie sich einliefern!» Die ganz Mutigen, und dazu zählte damals auch eine mir bis dahin wohlgesonnene Bekannte, mögen dir im Tram vor die Füsse spucken: «Schäm dich, dass du dich von diesem Drecksblatt bezahlen lässt!» Eine Anekdote aus den Jahren, als ich für die «Weltwoche» schrieb.
Der Kritiker ist ein Hund, den man totschlägt, wenn er zubeisst
Der heilige Zorn auf den Kritiker, die Kritikerin ist so alt wie das Gewerbe selbst. Aber wenn heute alle und jeder ein Kritiker, eine Kritikerin ist und in den sozialen Medien Öffentlichkeit und Zustimmung finden. Was ist unter diesen Vorzeichen der Beruf noch wert? Das frage ich mich manchmal selbst. Und was, bitte schön, ist das denn überhaupt für ein Beruf? Schon der preussische Diplomat und Schriftsteller Ernst von Wildenbruch (1845-1909) war der Ansicht. «Ein Rezensent, siehst du, das ist der Mann, / Der alles weiss (…) und gar nichts kann!». Der alte Goethe forderte gar zum Mord auf: «Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.»
Was Kritik und Kunst betrifft. Sie führen, sagt man heute, eine toxische Beziehung. Man braucht sich gegenseitig derart, ist teils so symbiotisch, dass eine Beziehungsstörung noch das mindeste ist. Was das Verhältnis der Leserschaft zum Kritiker, zum Kritiker betrifft: Ich bin froh, dass überhaupt ein Verhältnis besteht. Mag es noch so schwierig, hasserfüllt, liebevoll, enttäuscht oder begeistert sein, man reagiert aufeinander. So oft schreibt man ja doch ins Leere, dass man froh ist, wenn sich da draussen Leben regt. Ein Leserbrief? Bitte ja. Eine Kritik auf die Kritik? Immer gerne. Doch zum Skandal, dass die Kollegin in Hannover die Hinterlassenschaft eines Dackels namens Gustav ins Gesicht geschmiert bekommt, fällt der Kritikerin nur einen Satz ein: Herr Künstler, das war ein unverzeihlicher Griff ins Klo!