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Von Geistersiedlungen zu Wohnungsnot: Experte kritisiert die Überdramatisierung der Debatte um den Wohnungsmarkt

Die Bautätigkeit ist stark rückgängig, Leerstände sinken, Mieten steigen: Trotz diesen Entwicklungen ruft UBS-Immobilienexperte Claudio Saputelli dazu auf, die Situation nüchterner zu betrachten. 

Thomas Sommerhalder ist leidenschaftlicher Velofahrer. Der Regionaldirektor der UBS Aargau-Solothurn erinnert sich an eine seiner Bike-Touren von vor der Pandemie: «Ich bemerkte, dass die Preisschilder von Häusern länger an den Fenstern und Wänden hängen blieben. Da dachte ich mir: Liegt das wohl daran, dass die Preise zu hoch sind?»

Unterdessen hat sich der Immobilienmarkt verändert. Die Preise seien zwar nach wie vor hoch, aber sie seien nun fix: Auktionen seien kaum noch angesagt, führt Sommerhalder fort.

Der Banker spricht vor interessierten UBS-Kunden anlässlich des Immobilienausblicks der Grossbank. Hauptredner des Abends ist aber nicht er, sondern Immobilienexperte Claudio Saputelli. Mit kräftiger Stimme präsentiert er die neusten Tendenzen auf dem Immobilienmarkt.

Aargau wächst dank starker Binnenwanderung

Im Aargau ist eine Tendenz besonders bemerkenswert: die starke Binnenwanderung. «Der Aargau profitiert von den Problemen anderer Kantone», sagt Saputelli. In Zürich herrscht eine starke Wohnungsknappheit, und die Preise sind hoch, in Basel ist der Markt zu stark reguliert – weshalb die umliegenden Region, allen voran der Aargau, davon profitieren. Die «Flüchtlinge» aus den urbanen Zentren Basel, Zürich und Zug ziehen aber nicht etwa in die Aargauer Städte, sondern eher in ländliche Gemeinden.

Tatsächlich zeigt die Auswertung der UBS, dass Aarauer oder Badener selbst von den Zentren ausziehen. Dass deren Bevölkerung trotzdem steigt, liegt an der Zuwanderung. «Das ist im Grunde genommen logisch: Städter suchen sich die Idylle im Grünen, während Zuwanderer eher in Zentren ziehen, weil sie in einem ersten Schritt nahe an ihrem Arbeitsort leben wollen.»

Fertig Leerstand!

Lange berichteten Medien von der relativ hohen Leerwohnungsquote in den Regionen Aargau-Solothurn – wobei der Leerstand im Solothurnischen ausgeprägter war. Nichtsdestotrotz sorgen Schlagzeilen zu den «Geisterliegenschaften», also zu neuen Renditebauten, die lang nicht besetzt werden konnten, für viel Diskussionen.

Nun zeigt sich: Der Leerstand ist vorbei. Im Aargau ist die Quote gar stärker gesunken als im Rest der Schweiz. Dem liegt zugrunde, dass die Bautätigkeit massiv eingebrochen ist. In Gemeinden wie Oftringen, Rheinfelden oder Brugg werden kaum noch Baubewilligungen gesprochen.

Die Wohnungsknappheit und die rückständige Bautätigkeit führt dazu, dass die Immobilienmärkte auch im Aargau relativ unbeeindruckt von der Zinswende bleiben. Im Gegensatz zu EU-Ländern oder der USA, wo die Hauspreise regelrecht eingebrochen sind, bleiben die Preise hierzulande noch hoch. Aber, bemerkt Saputelli, die grossen Preisschübe dürften sich abschwächen und niedriger bleiben.

Zahlen und Tendenzen nicht überdramatisieren

Im Gespräch mit der Aargauer Zeitung betont Claudio Saputelli jedoch auch: Dass die Bautätigkeit rückläufig ist, gehört zu den normalen Zyklen der Konjunktur, genauso wie fluktuierende Leerwohnungsbestände und Immobilienpreise. Seit Jahren füllen jedoch Schlagzeilen mit Superlativen die Zeitungen. «Der Immobilienmarkt schafft Bühne für Politiker, Journalisten und Analysten», so Saputelli.

Es werde immer wieder versucht, aus Neuigkeiten spektakuläre Phänomene hervorzuheben. Für ihn sei die Lage gar nicht so dramatisch, insbesondere auch im internationalen Vergleich: Inflationen und Zinsentwicklungen seien hierzulande gemässigter. «Vor drei Jahren sprachen alle von Geisterstädten! Nun spricht man von Wohnungsnot.» Saputelli verzichtet bewusst darauf, solche Begriffe zu benutzen. Stattdessen spricht er lieber von Wohnungsknappheit.

Diese Überdramatisierung liesse sich für ihn deshalb erklären, dass beim Wohnungswesen verschiedenste Interessenskonflikte zusammenkommen. «Die Bandbreite der Zufriedenheit auf dem Schweizer Immobilienmarkt ist sehr schmal», sagt er. Die Kompromissbereitschaft sei deshalb klein, insbesondere bei der Verdichtung. «Das Ganze wird deshalb emotional hochgekocht.»

Für ihn sei es wichtiger, dass diese Angstkomponenten abgeschwächt werden, um sachliche Diskussionen zum Immobilienmarkt zu erlauben. Unbestritten sei, dass Herausforderungen bevorstehen: Da Wohnungsknappheit bestehe, müsse mehr Wohnraum geschafft werden, zum Beispiel durch Einschränkungen der Einsprachemöglichkeiten.