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Kriselnde Stahlindustrie darf aufatmen: Ständerat heisst Lex Gerlafingen gut

Das Parlament will gegen den Willen des Bundesrates Stahl Gerlafingen retten. Am Montag hat das Rettungspaket eine grosse Hürde genommen. Der Ständerat hat zähneknirschend zugestimmt.

Es sind Tage der Wahrheit für die Stahlarbeiter. Kommt der Rettungsplan für die grossen Stahl- und Aluminiumwerke zum Fliegen? Und wenn ja: Was heisst es, wenn das Parlament an einem Tabu rüttelt und Industriepolitik betreibt?Im Nationalrat hatte die Lex Gerlafingen letzte Woche eine Mehrheit gefunden.

Am Montagnachmittag richteten sich deshalb alle Augen auf den Ständerat. Nach einer engagierten Debatte folgte die kleine Kammer dem Nationalrat und hiess den Rettungsplan im Grundsatz gut. Der Entscheid fiel mit 25 zu 17 Stimmen.

Damit sind sich die Räte einig, dass Betriebe der Stahl- und Aluminiumindustrie mit einer Jahresproduktion von über 20’000 Tonnen Metall aus mehrheitlich rezykliertem Material unterstützt werden sollen. Der Nationalrat möchte eine zeitlich gestaffelte Entlastung der Netznutzungsgebühren. Es geht dabei um Swiss Steel in Luzern, Stahl Gerlafingen in Solothurn sowie die Alufirmen Novelis und Constellium im Wallis.

Der Hintergrund ist bekannt:Der Schweizer Stahlindustrie geht es unter anderem aufgrund von EU-Zöllen und hohen Energiepreisen in den vergangenen Jahren schlecht; Hunderte Arbeitsplätze sind akut bedroht. Druck kommt vor allem aus Gerlafingen:Arbeiter der dortigen Werke demonstrierten vor dem Bundeshaus und weibelten in den Kommissionen.

Viel Skepsis im Ständerat

Doch im Ständerat war die Begeisterung für den Rettungsplan spürbar geringer als im Nationalrat. Stellvertretend stand dafür Andrea Gmür.Im Vorfeld der Debatte hatte sie gesagt, sie werde immer skeptischer und befürchte, dass es sich hier einfach um eine künstliche Beatmung handle. Für ihre Aussage geriet die Mitte-Ständerätin in ihrem Kanton unter Druck. Das ins Schlingern geratene Stahlwerk Swiss Steel ist in Luzern beheimatet. Im Rat verteidigte Gmür ihren Entscheid. Das Rettungspaket würde bloss Begehrlichkeiten anderer Branchen wecken. Deshalb gelte: «Wehret den Anfängen.»

Ohnehin war klar, dass ihre Partei das Zünglein an der Waage spielen dürfte. Im Nationalrat hatte die Mitte dem Rettungsplan mit Unterstützung der Ratslinken zum Durchbruch verholfen. So war es für die Befürworter am Montag sicherlich eine gute Nachricht, dass sich Schwergewichte wie etwa Beat Rieder aus dem Kanton Wallis trotz Skepsis für den Rettungsplan erwärmen konnten.

Wenn die Politik nicht eingreife, werde die Schweiz keine Stahlproduktion mehr haben, sagte er im Namen der Kommission. Sein Solothurner Parteikollege und einer der treibenden Kräfte des Projekts, Pirmin Bischof, führte auch ökologische Gründe ins Feld. Die Schweizer Stahlwerke seien auf das elektrisierte Recycling von Schrott spezialisiert und stellten damit einen grünen Stahl her.

Scharfe Auflagen

Allerdings entschied der Ständerat, bei den Bedingungen für die Finanzhilfe die Schraube anzuziehen. «Uns war bewusst, dass es die Vorlage im Ständerat sehr schwer haben würde», sagte Rieder. Die Auflagen seien so scharf gestaltet, dass auch die Unternehmen und die Standortkantone in der Pflicht stünden.

So möchte der Rat die Gelder nur gewähren, sofern die Stromkosten der betroffenen Firmen mindestens fünf Prozent der Bruttowertschöpfung ausmachen. Der Bund soll nur einspringen, wenn die Standortkantone ebenfalls Finanzhilfe leisten. Geschärft hat er auch die Transparenzvorschriften: Solange die betroffenen Unternehmen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, gilt ein Boniverbot für die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat. Auch müssen sie den Erhalt des Standorts garantieren.

Die rechtsbürgerliche Seite konnte das nicht überzeugen. Thierry Burkart (FDP/AG) sprach von einem «gefährlichen ordnungspolitischen Sündenfall». Der Griff zur Industriepolitik unterminiere das Schweizer Erfolgsmodell. Die Schweizer Wirtschaft sei nicht auf Schweizer Stahl angewiesen. «In ganz Europa gibt es nicht zu wenig, sondern zu viel Stahl.»

Die Gegner orteten auch verfassungsrechtliche Probleme. Er habe gestaunt, mit «welcher Nonchalance» der Nationalrat die Bedenken des Bundesamtes für Justiz in den Wind geschlagen habe, sagte Daniel Fässler (Mitte/AI). Dieses sei in einem Gutachten zum «glasklaren» Schluss gekommen, dass die Verfassungsgrundlage fehle. Jakob Stark (SVP/TG) warnte vor einem weiteren Präjudiz für ein dringliches Gesetz, das nur möglich sei in einer aufgeheizten Stimmung.

Auch der Bundesrat hält wenig von der Industriepolitik. Energieminister Albert Rösti verwies auch auf die geplanten Entlastungsmassnahmen für energieintensive Firmen in der Schweiz. Doch dem Parlament reicht das nicht.