Inflationsgefahr: Nationalbank-Chef Thomas Jordan singt mit der Bundesbank
«Man darf das Risiko von Zweitrundeneffekten nicht unterschätzen», warnte Thomas Jordan, Präsident des dreiköpfigen Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank heute Donnerstag auf einer Telefonkonferenz mit Journalisten zur vierteljährlichen geldpolitischen Lagebeurteilung des Noteninstituts. Die Gefahr steigender Inflationserwartungen nehme zu je stärker die Energiepreise stiegen und je länger sie hoch blieben.
In der EZB wird intensiv um die Fortführung der Negativzinspolitik gerungen
Zwar machte der höchste Frankenhüter diese Aussagen unter Bezugnahme auf eine Journalistenfrage, die auf die spezifischen Risiken für die Schweiz abzielte. Doch Jordan unterstützt mit seinem Votum offensichtlich auch die Position des deutsche Bundesbankpräsidenten Joachim Nagel und anderer nordeuropäischer Vertreter im Rat der Europäischen Zentralbank, die sich derzeit trotz des Krieges in der Ukraine laut und deutlich gegen eine weitere Verzögerung des Ausstiegs aus der Negativzinspolitik aussprechen, wie es sich in Ländern wie Italien oder Frankreich viele wünschen.
Freilich scheint das Inflationsproblem in der Schweiz vorläufig unter Kontrolle zu sein. Zwar sieht sich nun auch die Nationalbank gezwungen, ihre durchschnittliche Teuerungsprognose vom vergangenen Dezember von 1 Prozent für das laufende Jahr auf 2,1 Prozent anzuheben. Doch für die kommenden zwei Jahre prognostiziert sie unter der Bedingung eines unveränderten Leitzinses von aktuell -0,75 Prozent eine Inflationsrate von nur noch 0,9 Prozent, was im Bereich der Preisstabilität liegen würde, wie sie die SNB definiert (0 Prozent bis 2 Prozent).
Noch erwartet die Nationalbank eine baldige Rückkehr zur Preisstabilität
Allerdings hatte die Nationalbank noch im Dezember eine Inflationsrate für 2023 von lediglich 0,6 Prozent vorausgesagt. Das Noteninstitut geht also davon aus, dass die derzeit von den steigenden Energiepreisen angetriebene Teuerungsentwicklung auch mittelfristig teilweise Bestand haben könnte. Mit Blick auf die oft stark negativen Teuerungsraten der vergangenen Jahre, die stets das Potential haben, die wirtschaftliche Entwicklung zu hemmen, kommt der Nationalbank die Aussicht auf eine etwas höhere Inflation aber durchaus gelegen, wie Jordan einräumte. Er sehe in der Schweiz «im Moment wenig Risiken, dass es zu markanten Zweitrundeneffekten kommen könnte», konstatierte er.
Unter einem Zweitrundeneffekt ist beispielsweise eine Ankurbelung der Lohn-Preis-Spirale zu verstehen. Mit einer Verschärfung der Rohmaterialknappheit würde das Risiko zunehmen, dass sich solche Zweitrundeneffekte verfestigen.
Was neben Erdöl und Erdgas sonst noch teurer wird
Derzeit wird die Inflationsentwicklung in der Schweiz aber noch von einer relativ kleinen Gruppe von Gütern bestimmt. Zu dieser gehören neben den Energieträgern auch die von Lieferengpässen betroffenen Produkte wie Haushaltgeräte, Konsumelektronik, Haushaltwaren, Freizeitartikel oder Autos, wie die Nationalbank auf Nachfrage ausführte.
Im Vergleich zum Euro-Raum oder auch zu Grossbritannien und den USA ist die Teuerung in der Schweiz aber immer noch sehr niedrig. Das ist nicht zuletzt auch das Verdienst der Nationalbank. In der Absicht, die steigenden Importpreise zu drosseln und somit auch die Teuerung im Inland zu bremsen, hat sie in jüngerer Zeit bewusst ein nominale Aufwertung des Frankens insbesondere zum Euro zugelassen und so den realen, gewichteten Wechselkurs zu den wichtigsten Handelspartnern der Schweiz einigermassen konstant gehalten.
Der Franken wird teuerer, solange die Preise im Ausland rascher steigen
So hatte die Nationalbank 2021 ihren Devisenbestand durch Interventionen auf den Märkten um netto lediglich 21 Milliarden Schweizer Franken erhöht, während das Volumen im Jahr davor noch das Fünffache betragen hatte. Die im Lauf der vergangenen zwei Jahre markant gestiegene Inflationsdifferenz zwischen der Schweiz und den für sie wichtigsten Währungsräumen hat den Frankenhütern einen gewissen Handlungsspielraum zurückgegeben.
Der Exportwirtschaft kann den Wettbewerbsnachteil des teuren Franken teilweise durch eine tiefere Inflation beziehungsweise über einen geringeren Anstieg der Produktionskosten in der Schweiz ausgleichen. Für eine Änderung der Negativzinspolitik, wie sie sich hierzulande viele ersehnen, dürfte Jordan aber weiterhin auf ein deutliches Signal der EZB warten müssen. Stellt man auf die aktuellen Erwartungen der Kapitalmärkte ab, könnte ein solches immerhin noch vor Herbstbeginn spruchreif werden.