Bienenprofessor ist alarmiert: «Alle Honigbienen-Völker der Schweiz sind chronisch krank» – das sind die Folgen
Eine Motion verlangt vom Bund, dass er die Bestäubung der Pflanzen nachhaltig sichert. Konkret fordert der Imker und Ständerat Peter Hegglin ein Monitoring und den Schutz der Wildbienen sowie eine Überwachung der Honigbienen. Was halten Sie von dieser Forderung?
Peter Neumann: Grundsätzlich begrüsse ich sehr, dass in diesem Bereich etwas passieren soll. Die Völkerverluste bei den Honigbienen sind viel zu hoch, deren Gesundheit ist besorgniserregend. Ebenfalls sind viele wilde Bienen in der Schweiz im Rückgang oder sogar vom Aussterben bedroht. Es besteht somit ein massiver Handlungsbedarf. Doch ein Monitoring für Honigbienen gibt es bereits seit 2008 bei uns, und der Vorstoss zielt auch sonst leider an den zentralen Problemen vorbei.
Welche wären das?
Zuerst einmal die Varroamilbe für Honigbienen. Die wird leider nirgends im Vorstoss erwähnt. Dabei kann man jeden Imker fragen: Wenn in den letzten Jahren eines seiner Völker gestorben ist, war der Grund fast immer: Varroa plus X. Darüber hinaus bringt reines Zählen der Bienen ohne die Hilfe von Genetik nur wenig, ganz besonders bei Hummeln, wo es nahezu nutzlos ist. Fünf Hummeln können von fünf Völkern stammen oder nur von einem Einzigen. Nur mit Genetik können wir herausfinden, wo akuter Handlungsbedarf besteht.
Der Vorstoss zu den Bienen wurde diese Woche eingereicht und verlangt vom Bundesrat, dass er sicherstellt, dass die Bienen ihre Leistung für das Ökosystem langfristig erfüllen können. Konkret fordern die Motionäre Massnahmen, um die Nahrungsquellen der Bienen sicherzustellen. Aber auch die Erforschung von Zusammenhängen zwischen Bestäubung, der Umwelt und der Bienengesundheit. Die Imkerverbände sollen zudem mit finanziellen Beiträgen unterstützt werden. (chm)
Worauf müsste der Vorstoss stärker fokussieren?
Ich bin überzeugt, dass er auf die Faktoren fokussieren sollte, die für Völkerverluste bei Honigbienen und den Rückgang von wilden Bienen verantwortlich sind: Neben eingeschleppten Arten wie besonders der Varroa-Milbe sind das Klimawandel, Umweltverschmutzung wie Pestizide, Zerstörung von Lebensräumen und ungenügende Ernährung. Es erscheint mir strategisch sinnvoll, dafür angewandte Forschung und Grundlagenforschung an Bord zu holen, sowie Naturschutzgebiete wie das Entlebuch.
Sie gehen aber mit den Initianten einig, dass die Schweiz dringend etwas tun sollte für die Bienen. Wie könnte das aussehen?
Ja, absolut. Gerade auch weil die Bienen in der EU in keinem einzigen «Call-to-Action» erwähnt werden und man das Thema offensichtlich ganz den Imkern überlässt, wünsche ich mir, dass die Schweiz hier mit gutem Beispiel vorangeht. Aus meiner Sicht braucht es drei Dinge: eine Ausweitung und eine bessere Information der Imkerschaft und breiten Öffentlichkeit, einen Ausbau der Methoden zum Schutz aller Bienen, und für die Honigbienen eine intensive Suche nach einer nachhaltigen Strategie für die Varroamilbe.
Wie schlecht steht es heute denn um die Honigbiene?
Alle Honigbienenvölker der Schweiz sind chronisch krank. Und wenn die Imker nichts dagegen unternehmen, sind alle Völker in ein bis zwei Jahren tot. Punkt. Sie sind mit der Varroamilbe infiziert, und die Zahlen da sind astronomisch hoch. Ebenso gibt es Viren, die mit der Milbe direkt nichts zu tun haben. Insgesamt sind die Völker so geschwächt, dass auch Viren eine Gefahr sind, die ihnen sonst nichts anhaben könnten.
Was verstehen Sie unter einer nachhaltigen Lösung?
Dass man es endlich schafft, die Varroamilbe nachhaltig zu bekämpfen. Dass wir da seit 30 Jahren am selben Punkt sind, ist doch verrückt! Da sehe ich einerseits den Bedarf, die Imkerschaft noch besser zu informieren, ihr klarzumachen, wie man die Milbe bekämpft, auch wenn sie nicht immer sichtbar ist. Gleichzeitig müssen wir in die Suche nach einer langfristigen Lösung investieren.
Wie könnte die aussehen?
Es gibt zwei Kontinente, Afrika und Südamerika, wo die Bienenvölker problemlos klarkommen mit der Varroamilbe. Ich habe so ein Bienenvolk erlebt in Brasilien, das war wunderschön, wie aus dem Bilderbuch: Ein starkes, gesundes Bienenvolk mit Varroamilben und kleinen Beutenkäfern – das war egal, den Bienen ging es gut. Seither glaube ich wirklich, wir machen hier etwas grundsätzlich falsch, mich eingeschlossen. Und es ist jetzt, nach fast 30 Jahren, an der Zeit, dass wir eine Lösung mit der Varroamilbe finden ohne Medikamente. Ich bin überzeugt, dass es diese Lösung gibt.
Warum funktioniert das in Afrika und Südamerika und hier nicht?
Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen es nicht. Die Bienen kommen einfach viel, viel besser klar mit den Milben. Aber das ist auch hier möglich. Ich habe zum Beispiel mit einem Imker in Norwegen zusammengearbeitet, dessen Bienenvölker sanftmütig sind, viel Honig machen – und der Imker bekämpft die Varroamilbe seit 20 Jahren nicht. Das geht also auch bei uns in Europa. Die Antwort liegt in den Bienen.
Zuletzt war die Rede von einem Imker-Boom in der Schweiz und dass es in den Städten zu viele Honigbienen gibt.
Ja, aber es stimmt nicht. Das ist in etwa so, wie wenn man sagen würde: Es gibt zu viele Kühe in der Schweiz, die fressen den Rehen und Kaninchen das Gras weg. Die Honigbienendichte in der Schweiz ist immer noch kleiner als in Afrika, wo die Bienen natürlich wild vorkommen. Ich erkläre mir die unbegründete Angst, dass es zu viele Honigbienen gibt, immer ein bisschen mit «Star Wars»: Die Honigbienen sind das böse Imperium und die Wildbienen sind die Rebellen. Damit ist natürlich auch das emotionale Bild ganz klar gesetzt. An erster Stelle müssen einfach alle Bienen wieder gesünder werden. Damit reduziert sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich mit weiteren Viren infizieren.
Was kann jede und jeder im Alltag tun, um den Bienen zu helfen?
Blühpflanzen ansähen und Insektenhotels aufstellen, das geht auch auf kleinstem Raum. Ich habe auf meiner winzig kleinen Apéro-Terrasse ein Insektenhotel und eine schöne Bienenweide mit Blühpflanzen. Man kann den Bienen also Futter geben. Da könnte auch der Bund mehr tun: Warum wachsen etwa auf den Wartehäuschen der Busse und Trams keine Blumen?! Oder auf dem Platz vor unserer Universität ist eine grosse Wiese – warum kann nicht die Hälfte davon voller Blüten sein? Warum immer und überall nur Dreimillimeter-Rasen?
Müssen wir auf Insektizide und Pestizide verzichten?
Ja, ganz klar, dazu gibt es erschreckende Daten, da hat es mich kürzlich beinahe umgehauen. Da wunderte ich mich, dass wir überhaupt noch Insekten haben. Wir haben uns zum Beispiel die Vermehrung eines Käfers angeschaut. Wir haben ja überall Pestizide im Boden und die geringste Menge in den Naturschutzgebieten. Und sogar dort ist die Vermehrung dieses Käfers immer noch um die Hälfte reduziert wegen der Pestizide. Das ist krass.
Ist die Situation in Afrika oder Südamerika diesbezüglich besser?
Nein, sicher nicht. Sogar die Pinguine in der Antarktis, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, haben wegen der Pestizide Probleme.
Eigentlich sind auch andere Insekten betroffen und bräuchten Hilfe. Können sie bei den Bienen Trittbrett fahren?
Ja, das ist unsere Idee. Die Bienen sind ein bisschen die Polarbären der Insekten. Der Biene wollen wir helfen, weil sie niedlich ist. Die anderen Insekten finden wir ja alle doof und wir möchten sie lieber nicht haben.