«Gratis-Studium» für abgewiesene Asylsuchende? Eine Abstimmung in Zürich wirft hohe Wellen
Sollen vorläufig Aufgenommene, die von Gesetzes wegen in ihre Heimat zurückkehren müssten, sofort Geld für eine Ausbildung in der Schweiz erhalten? Die Frage wirft im Kanton Zürich politisch hohe Wellen. Am 22. September wird das Stimmvolk entscheiden, ob vorläufig Aufgenommenen der Zugang zu Ausbildungsstipendien erleichtert wird. Die bislang geltende Wartefrist von fünf Jahren soll gestrichen werden. Bis diese verstreicht, verbleiben sie oft in Tieflohn-Jobs oder in der Sozialhilfe.
Zur Abstimmung kommt es, weil die Kantonalparteien der FDP und SVP gegen den Beschluss des Kantonsrats das Referendum ergriffen haben. Für sie ist klar: Ein «Gratis-Studium für abgewiesene Asylanten» soll es nicht geben. Ganz anders sieht das Mitte-links: Weil diese Menschen ohnehin auf absehbare Zeit hier bleiben, sollen sie möglichst rasch beruflich integriert werden und so dazu beitragen, die Sozialhilfekosten der Gemeinden zu senken. Auch die Kantonsregierung steht hinter den Plänen.
«Konkurs des Rechtsstaates»
Es erstaunt nicht, dass in Zürich aus einer kleinen Bildungsvorlage eine emotionale Asyldebatte entbrannt ist. Es ist eine Frage, die den Kern des Asylsystems berührt. Vorläufig Aufgenommene haben zwar von der Schweiz kein Asyl erhalten, dürfen aber trotzdem hier bleiben. Dies, weil ihre Wegweisung unzulässig, unzumutbar oder unmöglich ist – etwa weil das Heimatland die Person nicht zurücknimmt. Laut dem Staatssekretariat für Migration bleiben 90 Prozent dieser Menschen über lange Zeit in der Schweiz.
Für den Zürcher SVP-Nationalrat Gregor Rutz ist es der «Konkurs des Rechtsstaates». Gerade, um Flüchtlingen zu helfen, müsse der Bund die Rechtsgrundsätze durchsetzen. Aus seiner Sicht untergräbt die Abschaffung der Wartefrist das heutige Recht. Die Neuerung führe dazu, dass aus jedem Stipendienempfänger ein Härtefall würde. Die Folge sei eine Sogwirkung. Zürich dürfe nicht noch attraktiver werden für Migranten, die das Land verlassen müssten.
Schützenhilfe erhält die SVP von der FDP. An vorderster Front bekämpft die Zürcher Kantonsrätin Linda Camenisch die Gesetzesreform. Sie ärgert sich besonders darüber, dass die Befürworter von einem «pragmatischen Nachvollzug der Realität» sprechen, weil vorläufig Aufgenommene «ohnehin» hier blieben. «Das ist ein Killerkriterium» und komme einer Kapitulationserklärung gleich, kritisiert Camenisch.
Tiefere Kosten für Staat
Heute ist das Gesetz klar: Anerkannte Flüchtlinge sind in der ganzen Schweiz stipendienberechtigt. Im Gegensatz dazu bleibt es den Kantonen überlassen, ob Ausbildungsbeiträge auch an vorläufig aufgenommene Personen mit Ausweis F ausbezahlt werden. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2023 gibt es elf Kantone, die das tun. In vielen davon gilt eine Wartefrist von fünf bis sieben Jahren. In Basel-Stadt und Genf können vorläufig Aufgenommene sofort Stipendien beantragen.
Dabei zeigt sich: Wer die Wartefrist gestrichen hat, macht weitgehend gute Erfahrungen, wie das Beispiel Basel-Stadt belegt. Dort hat die Regierung im Mai 2022 entschieden, ein Pilotprojekt in die reguläre Strukturen zu überführen.
Das Pilotprojekt hat sich als Erfolg erwiesen. Die Ausbildungsquote von jungen vorläufig Aufgenommenen konnte stark erhöht werden. Ein nachobligatorischer Bildungsabschluss erhöhe die «Chancen auf dem Arbeitsmarkt», mindere das «Risiko einer neuerlichen Sozialhilfeabhängigkeit» und erhöhe die «Wahrscheinlichkeit wirtschaftlicher Unabhängigkeit im Einzelfall», betont die Regierung.
So konnten praktisch alle betroffenen Personen in Ausbildung von der Sozialhilfe abgelöst werden. Gemäss der Kantonsregierung handelt es sich dabei nicht um eine Verschiebung der Kosten auf Zeit, «sondern um eine nachhaltige Kostensenkung für Ausgaben der öffentlichen Hand».
Ziele der Integrationsagenda
Dieselbe Überlegung macht man sich auch in bürgerlich geprägten Kantonen. So unterstützt die Urner Regierung aus ähnlichen Überlegungen eine Streichung der Wartefrist. Vorstösse zur Lockerung gibt es auch in Basel-Land, Bern, Freiburg und Zug. Das Aargauer Kantonsparlament hat dagegen im November 2022 eine SP-Motion mit diesem Anliegen deutlich abgelehnt.
Von den Befürwortern werden auch die Ziele der Integrationsagenda ins Feld geführt, welche der Bund und die Kantone vereinbart haben. Diese sieht vor, dass sich zwei Drittel aller 16- bis 25-jährigen vorläufig Aufgenommenen fünf Jahre nach ihrer Einreise in einer postobligatorischen Ausbildung befinden. Auch der Bundesrat kam im März zum Schluss, dass das Potenzial von Geflüchteten noch nicht ausgeschöpft wird, um das inländische Arbeitskräftepotenzial zu fördern.