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«In den meisten Fällen erhalte ich gar keine Antwort»: Drei ukrainische Flüchtlinge berichten von der harten Arbeitssuche in der Schweiz

Der Bund verfehlt sein Integrationsziel von ukrainischen Arbeitssuchenden deutlich. Der Schutzstatus S verspricht unter anderem vereinfachten Zugang zum Arbeitsmarkt in der Schweiz. Die Praxiserfahrung dreier Ukrainer zeigt: So einfach ist es nicht.

Olena Amelina, 48: «Ukrainer arbeiten genauso gut wie Schweizer»

«Als ich im März 2022 mit meiner kleinen Tochter von der Westukraine in die Schweiz kam, konnte ich kein Wort Deutsch. Die vergangenen drei Jahre drehten sich vor allem um den Spracherwerb. In Rafz in Zürich erfuhren wir wohlwollende Hilfe von Freunden und der Gemeinde. Es war mir aber sehr wichtig, dass ich schnell auf eigenen Beinen stehen kann.

Anfangs wusste ich überhaupt nicht, wo und wie ich anfangen soll. Ich hatte verschiedene kurze Jobs, habe auf Spargel- und Erdbeerfeldern gearbeitet und war für ein Jahr in der Putzfirma einer Bekannten angestellt. Ich habe bald gemerkt, dass ich meine mangelnden Deutschkenntnisse nicht mit Englisch kompensieren kann. In der Ukraine war ich HNO-, Kinder- und Hausärztin und habe auch ein Diplom als Pflegefachfrau. In der Schweiz habe ich mein Diplom bei der zuständigen Stelle angemeldet. Aber in der Schweiz ist eine ukrainische Ausbildung leider in der Hierarchie noch weiter unten als europäische Ausbildungen.

Dennoch würde ich mein jetziges unbezahltes Praktikum in einem Altersheim in Rafz als Glücksfall bezeichnen. Eine Freundin beim Roten Kreuz konnte es für mich organisieren. Sie gab mir den Tipp, dass ich davon profitieren würde, auch wenn es unbezahlt ist, weil ich so an ein Schweizer Arbeitszeugnis komme. Das ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung.

Ich stelle mich auf einen langfristigen Aufenthalt in der Schweiz ein und würde es hier gerne wieder bis zum Facharzt schaffen. Und jetzt, wo ich das Pflegepersonal im Altersheim beim Arbeiten beobachten kann, weiss ich: Ukrainisches Pflegepersonal arbeitet qualitativ gleichwertig. Es ist eine reine Formalität, dass die Diplome unterschiedlich gewertet werden.»

Dmytro Strelnikov, 27: «Ich bewerbe mich fast jeden Tag»

Der Ukrainer Dmytro Strelnikov lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Bern.
Bild: zvg

«Die Schweizerinnen und Schweizer sind höflich. Es gibt aber diesen bestimmten Schweizer Blick, der sagt noch etwas anderes. Gehe ich mit meiner Frau und meinem Sohn unter der Woche, während die meisten arbeiten, spazieren, dann bemerke ich ihn. Ich spüre, wie die Leute denken: Warum ist der jetzt hier am Spazieren und nicht bei der Arbeit? Es haben mich auch schon Leute deswegen angesprochen.

Ich würde sehr gerne arbeiten, um meiner Familie ein besseres Leben ermöglichen zu können. In der Ukraine habe ich Englisch und Chinesisch studiert und habe ein Praktikum als Sprachlehrer gemacht. Dann habe ich in den Logistiksektor gewechselt und arbeitete erfolgreich als Kundenbetreuer mit Kunden aus den USA und China. Mit Ausbruch des Kriegs hat sich die Geschäftslage drastisch verschlechtert. Im September 2023 habe ich dann meine Heimatstadt Charkiw verlassen und bin in die Schweiz gekommen, später kam meine schwangere Frau nach. Ich habe rasch Deutsch gelernt und spreche inzwischen auch ein bisschen Berndeutsch.

Seit Oktober bin ich beim RAV registriert. Ich bewerbe mich fast jeden Tag – hauptsächlich um Jobs im Backoffice und im Logistikbereich, aber ich habe mich auch schon als Serviceangestellter und auf Lehrstellen für Handwerksberufe beworben. Zudem habe ich mich beraten lassen, wie ich die Bewerbungsunterlagen noch verbessern kann. Doch bisher waren die Bemühungen vergebens, erst einmal wurde ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. In 30 Prozent der Fälle bekomme ich eine höfliche Standardabsage, in 70 Prozent gar keine Antwort.

Mein Eindruck: Hier in der Schweiz musst du alles mit einem Zertifikat oder anderen Unterlagen belegen können. Welche Fähigkeiten du tatsächlich hast, ist zweitrangig. Ausserdem hängt es vom Pass ab. Als Person, die aus einem Drittstaat kommt, ohne Berufserfahrung in der Schweiz oder Abschluss, hat man kaum eine Chance.

Ich sehe und spüre die Erwartung der Menschen hier, dass wir Ukrainer arbeiten. Doch wie kann ich einen Job finden, wenn mir niemand auf meine Bewerbungen antwortet?»

Oksana Bulyk, 53: «Da kommen Absagen mit fadenscheinigen Gründen»

Die Ukrainerin Oksana Bulyk lebt in Splügen, Graubünden.
Bild: zvg

«Anfangs dachte ich, ich würde problemlos Anschluss in der Schweiz finden. Ich habe zwei Universitätsabschlüsse. In der Ukraine habe ich Geografie studiert und einen Master in Public Administration gemacht. Ich habe 25 Jahre Praxiserfahrung in der Politikberatung und führte dann während acht Jahren mein eigenes Reisebüro. Deshalb kannte ich auch die Schweiz und Italien relativ gut vor meiner Flucht.

Als ich im April 2022 allerdings von der ukrainischen Stadt Pavlovrad in die Schweiz kam, merkte ich schnell, dass ich nichts von meinem breiten Hintergrund geltend machen kann. Alle meine Diplome scheinen nichtig zu sein, als wäre ich unausgebildet.

Ich möchte betonen, dass ich sehr dankbar bin für die Unterstützung, die ich vom Schweizer Staat erhalten habe. Aber wenn ich ehrlich bin, erfahre ich doch immer wieder Diskriminierung. Da kommen manchmal Absagen mit fadenscheinigen Gründen. Einmal sagte man mir ab, weil ich in Splügen wohne und kein Schweizerdeutsch spreche. Die Jobbeschreibung sah Schweizerdeutsch aber überhaupt nicht vor und ich sagte dem Herrn, ich wäre bereit, umzuziehen. Da ich alleinstehend bin, wäre es für mich ein Leichtes gewesen. Das nahm er aber nicht ernst, und ich bin überzeugt, das tatsächliche Problem lag an meinem ukrainischen Pass.

Ich habe letztes Jahr mehrere hundert Bewerbungen eingereicht, ohne Erfolg. Derzeit arbeite ich vorübergehend in Splügen in einem Skigebiet im Restaurant an der Kasse. Es ist hart, wenn man mit 53 Jahren keine einzige Praxiserfahrung geltend machen kann und in unterfordernden Positionen arbeiten muss. Das vom Kanton Graubünden angebotene Jobcoaching half mir vor allem darin, den Bewerbungsprozess in der Schweiz kennenzulernen. Aber ich wäre froh gewesen, wenn die Coaches mehr auf mein Profil geachtet hätten. Sie konnten mir leider keine passenden Jobs vermitteln, obwohl sie doch meinen beruflichen Hintergrund genau kannten.»