Kein Zugang zu Millionentopf: Wieso erhalten Hilfswerke mit christlichem Gütesiegel keine Bundesgelder?
Die humanitäre Organisation mit Sitz in Thun heisst «Hilfe für Mensch und Kirche». Seit Ausbruch der Kämpfe 2014 ist sie in der Ukraine präsent. Nach Putins Angriffskrieg hat sie ihr Engagement in diesem Jahr um eine Million Franken aufgestockt. Das christliche Hilfswerk verteilt via lokale Partner Essen in zerstörten Städten, repariert undichte Dächer von Gebäuden, in denen Kriegsvertriebe untergebracht werden, und evakuiert Menschen aus gefährlichen Gebieten. Finanziert wird der humanitäre Einsatz allein durch Spendengelder.
Das Hilfswerk verfügt zwar über das Gütesiegel der christlich orientierten Stiftung Ehrenkodex. Das Zertifikat attestiert gegenüber Spendern wirksames, transparentes und nachhaltiges Handeln. Zugang zu öffentlichen Mitteln der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) hat «Hilfe für Mensch und Kirche» faktisch nicht. Das Eintrittsticket hierfür ist das Label der Stiftung Zewo. Rund 500 Organisationen schmücken sich mit dem Gütesiegel der bekanntesten Schweizer Zertifizierungsstelle für nicht profitorientierte Organisationen.
«Hilfe für Mensch und Kirche» verfügt in der Ukraine über ein Netzwerk, das schnelle und effiziente Hilfe ermöglicht. «Wir könnten mehr tun, wenn auch wir Bundesmittel erhielten», sagt Geschäftsführer Linus Pfister. Für Gelder für humanitäre Hilfe – der Bundesrat hat die Mittel für die Ukraine im März auf 80 Millionen Franken aufgestockt – bedürfen Hilfswerke zwar nicht zwingend eines Zewo-Zertifikats. Pfister hat in der Vergangenheit aber die Erfahrung gemacht, dass ohne Zewo-Label nichts geht, etwa im Bemühen um Geld zugunsten von syrischen und irakischen Flüchtlingen. Ein Deza-Mitarbeiter habe ziemlich klar gemacht, dass Anträge christlicher Hilfswerke sowieso versanden würden.
An der Zewo führt kein Weg vorbei
Für Deza-Programmbeiträge zur internationalen Zusammenarbeit führt gar kein Weg an der Zewo vorbei. Pro Jahr überweist die Deza rund 130 Millionen Franken an Schweizer NGO für entsprechende Projekte, die Armut und Not mindern, Frieden fördern und die Zivilgesellschaft stärken sollen.
Marc Jost sitzt im Stiftungsrat von Ehrenkodex. Mehr als 50 Hilfswerke haben sich von Ehrenkodex zertifizieren lassen. Jost kann nicht verstehen, dass der Staat ihnen den Zugang zu öffentlichen Geldern versperrt und so einen Wettbewerbsnachteil schafft. Inhaltlich unterscheiden sich die Zertifikate von Zewo und Ehrenkodex nur marginal. Laut einer Studie der Universität Bern sind die Beurteilungskriterien praktisch identisch, die Labels zu 98 Prozent deckungsgleich. Jost fordert, dass der Bund eine Vielfalt der Zertifizierungsstellen zulässt «und endlich genau definiert, was er überhaupt überprüft haben will». Der Unmut bei Organisationen mit Ehrenkodex-Gütesiegel steige.
Wirken muss auf christlichem Glauben beruhen
Das Gütesiegel Ehrenkodex gibt es seit mehr als 30 Jahren. Ein wesentlicher Unterschied zu Zewo existiert. Ehrenkodex verlangt explizit eine Erklärung, dass das Wirken der zertifizierten Hilfswerke auf dem christlichen Glauben beruht. Die Zewo ihrerseits erteilt Hilfswerken keine Gütesiegel, wenn politische, religiöse oder sonst weltanschauliche geprägte Projekte mehr als die Hälfte des Aufwands ausmachen.
«Viele christliche Hilfswerke tun sich schwer mit der Religionsklausel der Zewo», sagt Linus Pfister. Er ist nicht nur Geschäftsleiter von «Hilfe für Mensch und Kirche», sondern präsidiert auch die Stiftung Hoffnungsnetz, ein Zusammenschluss von sechs christlichen Hilfswerken. «In einem Jahr erfüllen sie die Vorgabe, im anderen Jahr nicht mehr.» Kurzum: An die Millionentöpfe des Bundes kommen sie wegen des «falschen» Qualitätslabels nicht heran.
Parlament will Antworten vom Aussendepartement
Doch das könnte sich ändern. In einer Untersuchung im Auftrag der Deza empfahl eine britische, auf Entwicklungszusammenarbeit spezialisierte Beratungsfirma, sich bei der Qualitätssicherung nicht einzig und allein auf die Zewo zu stützen. Deren Monopolstellung gibt auch unter der Bundeskuppel zu reden. Voraussichtlich an einer der nächsten Sitzungen der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats muss das Aussendepartement Stellung nehmen zu diesem Thema, das die Mitte-Partei aufs Tapet gebracht hat.
Der Bundesrat stellt sich bis jetzt auf den Standpunkt, die Standards der Zewo genügten als einzige den hohen Anforderungen der Deza. Das schrieb er in der Antwort auf einen Vorstoss der Freiburger Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach, der von Parlamentsmitgliedern von links bis rechts mitunterzeichnet wurde. Immerhin einen Spalt breit hat der Bundesrat ein Törchen für andere Gütesiegel geöffnet. Im Frühling hat das Aussendepartement zwei Wissenschaftler der Universität Zürich und Lausanne beauftragt, die Frage der NGO-Zertifizierung neu zu beurteilen. Falls neben Zewo weitere Labels den Anforderungen der Deza genügen, könnten diese bei der Vergabe von Programmbeiträgen für die Periode 2025 bis 2028 unter Umständen berücksichtigt werden.