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«Ein Wiederaufbau in der Ukraine macht nur Sinn, wenn wir sicher sein können, dass die Gelder effizient eingesetzt werden»

Für Laurent Goetschel, Experte für Friedenspolitik und Direktor von Swisspeace, ist klar: An der Lugano-Konferenz vom 4. und 5. Juli soll nicht nur über den Wiederaufbau der Ukraine gesprochen werden. Auch umfassende Reformen müssten zum Thema werden, sagt er.

Laurent Goetschel ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace, die sich laut eigenen Angaben für «die friedliche Beilegung von bewaffneten Konflikten weltweit» einsetzt. Goetschel begrüsst, dass sich die Staaten und internationalen Organisationen im Rahmen der Lugano-Konferenz schon jetzt überlegen, wo und wie die Gelder für den Wiederaufbau in der Ukraine eingesetzt werden sollen.

Die internationale Gemeinschaft will Anfang Juli bereits über den Wiederaufbau in der Ukraine sprechen. Macht das angesichts des anhaltenden Krieges überhaupt Sinn?

Wir müssen bedenken: Die Konferenz in Lugano war schon lange vor dem Beginn des Angriffskriegs geplant. Einfach mit einem anderen Fokus. Ursprünglich war sie als Reformkonferenz angedacht. Dass sie nun aufgrund des Krieges in der Ukraine in eine Wiederaufbau-Konferenz umbenannt wurde, macht absolut Sinn.

Auch wenn man vermutlich einen späteren Zeitpunkt gewählt hätte, wenn nicht bereits eine Ukraine-Konferenz geplant gewesen wäre.

Dann ist es also doch noch zu früh?

Nein, es ist richtig und gut, dass diese Konferenz nun stattfindet. Denn ich bin überzeugt, dass Russland nicht ganz zurückgedrängt werden kann, gleichzeitig wird nicht die ganze Ukraine eingenommen werden. Es braucht also Unterstützung beim Wiederaufbau vor allem in jenen Gebieten, die nicht besetzt sind. Und schliesslich kann die Konferenz auch als Bekenntnis zur gemeinsamen Koordination der Unterstützung für die Ukraine betrachtet werden ‒ und zwar losgelöst von militärischen Fragen, die aktuell die Debatte dominieren. Wichtig erscheint mir allerdings, dass die Beteiligten nicht nur oberflächlich über den Wiederaufbauprozess sprechen, sondern auch jene Themen angehen, die im Rahmen der ursprünglich geplanten Reformkonferenz traktandiert waren.

Welche Themen sprechen Sie an?

Dazu zählen beispielsweise die Dezentralisierung sowie die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine. Denn ein Wiederaufbau macht nur dann Sinn, wenn wir sicher sein können, dass die Gelder, die in die Ukraine fliessen, effizient eingesetzt werden und nicht durch korrupte Machenschaften ihrem eigentlichen Verwendungszweck entzogen werden.

Bundespräsident Ignazio Cassis kündigte am WEF in Davos gemeinsam mit dem ukrainischen Aussenminister Dmytro Kuleba die «Ukraine Recovery Conference» an.
Bild: Keystone

Welche Rolle spielt dabei die Schweiz?

Bezüglich der Reformen in der Ukraine spielt die Schweiz seit Jahren eine wichtige Rolle. Sie bringt hier eine grosse Expertise mit. Gemeinsam mit den Behörden führt die Schweiz in der Ukraine schon viele Jahre Projekte zur Stärkung der Gemeindeautonomie durch und sorgt damit auch dafür, dass die Korruption eingeschränkt wird. Denn grundsätzlich kann man sagen: Je tiefer die Staatsebene, desto geringer die Gefahr für Korruption.

Dann sollen die Gelder, welche die internationale Gemeinschaft in Lugano für den Wiederaufbau sprechen werden, also nicht dem Staat direkt zukommen?

Es macht auf jeden Fall keinen Sinn, das gesamte Geld über Kiew fliessen zu lassen. Vermutlich braucht es eine Mischung verschiedener Finanzierungsarten. Ich kann mir auch vorstellen, dass ein Teil des Geldes direkt an Private oder an Unternehmen fliesst, damit der Wiederaufbau auch auf substaatlicher Ebene erfolgen kann.

Gemäss Angaben des Aussendepartements ist nicht geplant, an der Konferenz über Frieden und Waffenstillstand zu sprechen. Sind Sie als Direktor der Friedensstiftung enttäuscht?

So würde ich es nicht bezeichnen. Schliesslich kann man nicht über Frieden sprechen, wenn eines der betroffenen Länder ‒ in diesem Fall Russland ‒ nicht mit am Tisch sitzt. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die anwesenden Länder über ihr Vorgehen zur Friedensförderung sprechen.

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