Experte erklärt, warum ICT-Lehrabgänger keine Probleme bei der Jobsuche haben und welchen Einfluss KI auf den Beruf hat
Herr Pirola, wie geht es 2024 der ICT-Branche?
Zwei Antworten. Die erste: Unserer Branche geht es super, wir haben stetiges Wachstum und Steigerungen in allen Bereichen. Die zweite: Wir haben Herausforderungen, uns fehlen Tausende Fachkräfte. Aktuell bilden wir über 11’000 Lernende pro Jahr aus, das ist viel zu wenig.
Die Wirtschaft schreit nach mehr …
… ist aber nicht bereit, nötige Ausbildungsplätze zu schaffen. Gemäss einer Studie sollten wir auf 100 ICT-Stellen 8,1 Lehrstellen anbieten, um den Bedarf zu decken. Wir sind aber aktuell bei einer Lehrstellenquote von 5,9 Prozent.
Wo klemmt es?
Unter anderem bei internationalen Grossfirmen.
Warum diese Zurückhaltung bei internationalen Playern?
Grosse Tech-Firmen werden angelsächsisch geleitet. Die sagen: Warum ausbilden? Wir nehmen die fertig Studierten. Wir müssen immer wieder unser Ausbildungssystem erklären. Zudem braucht jeder Lernende eine Struktur um sich herum, Betreuung, Bildungspläne müssen eingehalten werden. Fakt ist aber auch: Lernende «bringen» ab dem dritten Lehrjahr der Firma etwas. Und wer sie nach Lehrabschluss behalten kann, spart sich Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten.
Fertig Ausgebildete haben somit keine Probleme auf dem Arbeitsmarkt.
Wer in die Informatik einsteigt, Freude daran findet und einen anständigen Abschluss vorweist, findet nullkommaplötzlich einen Job.
Sind die Frauen auf dem Vormarsch?
Wir dümpeln in den ICT-Berufslehren bei knappen 15 Prozent. Ausser in der Mediamatik, wo Multimedia-Inhalte gestaltet werden, da haben wir einen Frauenanteil von 40 Prozent. Ein cooler Beruf für Kreative, der in den letzten Jahren ein enormes Wachstum erfuhr. Auch in unserem neuen Beruf Entwicklerin digitales Business liegt der Frauenanteil mit 29 Prozent etwas höher.
Haben jetzt Abschliessende das benötigte Rüstzeug – Stichwort: künstliche Intelligenz (KI)?
Wir bilden in der Informatik aktuell nach der Bildungsverordnung aus, die 2021 eingeführt wurde. Damit ist die Frage zum Teil beantwortet. Zum Glück gibt es aktive Schulen und überbetriebliche Kurse (üK), die Module generisch offen gestalten und aktuelle Trends sofort einbinden. Es gibt auch Lehrbetriebe, die sofort reagieren.
Wird KI die ICT-Ausbildung auf den Kopf stellen?
Der Lehrer, der vor der Klasse genau erklärt, wie es geht, hat ausgedient. In Zukunft sagt der Pädagoge: «Da ist ein Ziel, wer will von links dahin, wer von rechts? Wer braucht für seinen Weg mein Coaching?» KI verlangt die individuelle Ausbildung. Ein Bereich wird sich zudem völlig verändern.
Bitte!
Die Prüfungen. Reine Wissensabfragen sind in Zukunft obsolet. KI erledigt das. Wir müssen handlungsorientierte Prüfungen gestalten, die Lernenden müssen KI richtig nutzen.
Wie wurden die Prüfungen 2024 durchgeführt?
Wir im Aargau haben KI integriert. Die Abschliessenden mussten aber die maximal 20 Prozent KI-generierten Informationen als solche deklarieren. Das ist ein erster Schritt.
Sagen wir mal: Bis in sieben Jahren ist «alles anders» in Ihren Berufen.
(überlegt)Das braucht keine sieben Jahre. Der klassische Applikationsentwickler wird sich grundlegend verändern. Das Handwerk des Codierens macht in Zukunft KI. Der Programmierer wird zum «Code-Navigator», der hauptsächlich überprüft und Fehler behebt. Umso wichtiger ist es für unsere Fachkräfte, am Ball zu bleiben und sich weiterzubilden.
Macht KI Menschen überflüssig?
Nein, es braucht uns immer noch. Künstliche Intelligenz kann ja nicht «denken». KI stellt via Wahrscheinlichkeitsberechnung Suchresultate zusammen. Die Kreativität und die ethische Komponente des Menschen sind nach wie vor nötig.
Schauen wir noch weiter nach vorn. Wie sieht die Berufslandschaft in einer Dekade aus?
Es gibt in der Schweiz über 250 lernbare Berufe, der Hufschmied wird in 10 Jahren immer noch dasselbe machen. Aber die meisten Berufe werden sich verändern. Dem Koch wird KI sagen: «Am heutigen Wochentag, bei diesem Wetter wirst du so viele Portionen brauchen. Die Zutaten liegen bereits in der richtigen Menge vor, das Öl ist schon vorgeheizt …» Das Zusammenrücken der Prozesse durch KI wird in den allermeisten Berufen stattfinden.
Eine «handfeste» Frage zum Schluss: Gibt es in 10 Jahren noch die Tastatur mit Maus?
Es wird nicht mehr State of the Art sein. Ich habe kürzlich ChatGPT gefragt, wie der Beruf des Informatikers aussehen wird, mit Bild. Darauf war ein Entwickler mit Brille zu sehen, der mit speziellen Handschuhen frei im virtuellen Raum den durchlaufenden Code bearbeitete. Wir werden in direkter Interaktion mit der KI sein. Maus und Tastatur werden wegen Ineffizienz langsam verschwinden.