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«Ich habe kein Problem damit, wenn jemand auf mich persönlich losgeht»: Wie Olivier Senn mit den Todesfällen von Gino Mäder und von Muriel Furrer umgeht

Der Aargauer Olivier Senn hat als Direktor der Tour de Suisse und als lokaler Organisator der Rad-WM in Zürich die Todesfälle von Gino Mäder und von Muriel Furrer hautnah miterlebt. Im Interview gibt er einen Einblick in seine Gedankenwelt und verrät, welche Sicherheitsmassnahmen nun oberste Priorität geniessen.

Zwei Todesfälle erschütterten den Schweizer Radsport in den letzten beiden Jahren:Im Sommer 2023 verunglückte Gino Mäder während der Tour de Suisse tödlich. Vor drei Monaten kam es im Rahmen der Rad-WM in Zürichzum fatalen Unfall mit Muriel Furrer.

Ein Mann erlebte die beiden Dramen jeweils hautnah mit: Olivier Senn. Der Aargauer ist Direktor der Tour de Suisse und organisierte mit seiner Firma «Cycling Unlimited» auf lokaler Ebene auch die Titelkämpfe in Zürich. Der 54-Jährige stand innerhalb von 15 Monaten zweimal mittendrin im Sturm der Emotionen.

Die Wintermonate verbringt Senn mit seiner Frau gerne in wärmeren Gefilden. Bevor er sich in Richtung Spanien verabschiedet hat, nahm er sich Zeit, um über die turbulenten und hochemotionalen letzten Monate zu sprechen.

Nehmen Sie uns noch einmal mit zurück zu jenem 26. September, als Muriel Furrer im Rahmen des Juniorinnen-Rennens an der WM in Zürich verunglückte. Wie haben Sie das Drama erlebt?

Olivier Senn:Ich war, wie alle Tage vorher, von einem Meeting zum anderen unterwegs. Irgendwann hörte ich über den Funk, dass es einen Unfall gegeben hat und dass der «bearbeitet» wird. Ich habe dann erst relativ spät am Nachmittag erfahren, was eigentlich passiert ist.

Wie?

Ich habe die ersten Bilder gesehen mit der Ambulanz, die im Einsatz stand. Darauf habe ich Kontakt aufgenommen mit unseren Leuten in der Einsatzzentrale, um zu erfahren, was Sache ist. Da hat man mir mitgeteilt, dass Muriel Furrer schwer verletzt ist und der Helikopter zum Einsatz kam.

Das war der erste Moment, in dem Ihnen die Tragweite des Unglücks bewusst wurde.

Ja. Danach lief es ähnlich ab wie im Jahr zuvor bei Gino Mäder. Man hat erst einmal wenig Informationen und versucht, welche zu erhalten. Gleichzeitig läuft der Rettungs- und Versorgungsprozess ab, auf den man keinen Einfluss hat oder irgendetwas tun kann. Bei dem man nicht helfen kann. Das macht es schwierig zu beurteilen, wo man eingreifen kann und muss, und wo man es einfach laufen lassen muss.

Nach dem Tod von Muriel Furrer wehten die Fahnen an der Rad-WM in Zürich auf halbmast.
Bild: Ennio Leanza/ap

Und dann?

Bei uns stellte sich die Frage: «Was jetzt? Hat das irgendwelche direkten Konsequenzen auf die WM?» Und ich dachte mir: «Bitte nicht schon wieder!» Bei Gino hatte ich diesen Gedanken damals übrigens überhaupt nicht. Ich bin ein sehr positiv denkender Mensch. Für mich war klar, dass das schon gut kommt. Wenn es eine Chance gibt, dann glaube ich immer an ein Happy End. Und dieses Mindset fehlte mir im Fall von Muriel. Das war entsprechend eine sehr harte Nacht. Auf der einen Seite hat man Hoffnung, auf der anderen Seite hat man immer Angst davor, dass das Telefon klingelt und einem die schlechten Nachrichten übermittelt werden.

Sie wussten ja, dass es nicht gut aussieht.

Entsprechend haben wir begonnen, das Worst-Case-Szenario vorzubereiten. Wir sassen dann zu zweit im Büro, als das Telefonat mit der Todesnachricht kam. Da bricht für einen Moment die Welt zusammen. Ich wusste, dass es so kommen könnte. Trotzdem kann man sich auf so eine Hiobsbotschaft nicht vorbereiten.

Auch nicht mit der Erfahrung im Fall von Gino Mäder?

Nein. Dafür funktionierte ich im Prozess danach besser. Meine Leute, die auch das Drama um Gino miterlebt hatten, wussten, was passiert. Bei Gino waren wir alle erst mal geschockt.

Wurden Sie zuerst informiert?

Das ist etwas kompliziert, weil die WM-Organisation recht fragmentiert war. Aber nach fünf Minuten wussten alle Bescheid und wir besammelten uns im WM-Büro. Swiss Cycling, der Welt-Radsportverband UCI, das OK. Und dann haben wir das Sitzungszimmer mehr oder weniger eineinhalb Tage nicht mehr verlassen, da sehr viel zu koordinieren, organisieren und entscheiden war. Man ist wie im Tunnel und funktioniert dann einfach. Deshalb kann ich mich an viele Details auch gar nicht mehr erinnern.

Wer hatte den Lead?

Natürlich schon wir als lokaler Organisator, weil wir das Bindeglied zu allen Beteiligten waren und alle Informationen sammeln und ordnen konnten.

Was war in diesem ganzen Prozess während der WM die grösste Schwierigkeit?

Das ganze Team nach dem Unfall aufzufangen und die Konzentration der Mitarbeiter trotz der grossen Trauer hochzuhalten. Zum Beispiel sich darum kümmern, dass es auch den Streckenposten gut geht.

Immerhin stand ein Abbruch der WM nie zur Debatte.

Nein. Wir erfuhren via Swiss Cycling sehr schnell, dass es der Wunsch von Muriel Furrers Familie ist, dass die Wettkämpfe wie geplant fortgesetzt werden. Aber eben – der anspruchsvolle Teil ist trotzdem: Wie machst du nach so einem Unglück einfach weiter? Das war schon bei Gino eine der grössten Herausforderungen.

Die Kommunikation erwies sich dann aber als ziemlich kompliziert, weil dort die UCI den Lead hatte.

Ja. Da hatten nicht alle Beteiligten dieselben Interessen. Oder anders ausgedrückt: Es existierten verschiedene Sichtweisen bezüglich der Situation. Das war damals bei Gino schon viel einfacher.

Wieso?

Bei der WM gab es uns, die UCI, Swiss Cycling, Stadt und Kanton. Dazu waren auch die Medien anders. Viel mehr, viel internationaler im Vergleich zu einer Tour de Suisse. Dort geht es schon fast familiär zu und her. Man sieht eigentlich jedes Jahr dieselben Gesichter. Dort ist man wie gemeinsam in der Situation drin. Auch, weil die Journalisten selber viel betroffener waren, weil alle Gino persönlich gekannt haben.

Sie hätten persönlich anders kommuniziert nach Muriels Tod?

Ja. Aber ich war nur ein Teil der Organisation. Und die Organisation bestimmte, wie wir vorgehen. Wobei da die UCI einen gewichtigen Einfluss hatte.

Man erinnert sich mit Schrecken an diese Medienkonferenz, in der Sie Stellung nehmen mussten. Ein absurdes Spektakel.

Ja, rückblickend absolut. Es gab sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie diese Medienkonferenz ablaufen sollte, und es dauerte lange, bis wir einen Kompromiss gefunden hatten. Die Grundidee seitens UCI wäre eine andere gewesen.

WM-OK-Chef Olivier Senn (rechts) bei der beklemmenden Pressekonferenz nach dem Tod von Muriel Furrer, überwacht vom UCI-Abgeordneten Peter Van den Abeele.
Bild: Claudio Thoma/Freshfocus

Nämlich?

Wir hätten einfach ein Statement vorlesen sollen.

Und das wollten Sie nicht.

Nein. Für uns war klar, dass wir dafür keine Medienkonferenz veranstalten müssen und dass Fragen zugelassen werden müssen. Aber ich will hier jetzt nicht die UCI kritisieren. Wir hätten es ganz einfach anders gemacht.

Das heisst?

Ich wäre, wie bei Gino, für möglichst offene Kommunikation gewesen. Das, was wir sagen können und dürfen, sagen wir.

Gerade, wenn man weiss, wie Sie ticken, muss das für Sie sehr belastend gewesen sein.

Ja. Aber die ganze Situation war halt auch der Organisation geschuldet. Ich war letztlich auch nur ein Angestellter des Vereins, der die WM veranstaltet hat. Ich hatte während jener zwei, drei Tage gefühlt sieben Chefs. Und war am Ende auch nicht verantwortlich für die Kommunikation. Bei der Tour de Suisse wusste ich: «Da müssen wir durch. Und ich will und muss vorangehen.» Und noch etwas …

Bitte.

Der grosse Unterschied ist eben, dass die WM nicht so schnell wiederkehrend und quasi «abgeschlossen» ist. Ich bin aber – hoffentlich – noch ein paar Jahre in der Schweizer Radsportszene dabei und muss mit den Leuten hier zusammenarbeiten. Da geht es auch um meine Glaubwürdigkeit, wobei dies natürlich auch für andere Stakeholder wie zum Beispiel Swiss Cycling gilt.

Klar ist: Diese WM in Zürich wird immer überschattet sein von Muriel Furrers Tod. Wenn man den Anlass als Ganzes betrachtet, stand er generell unter einem unglücklichen Stern. Stichwort Strassensperrungen, schlechtes Wetter. Welche Bilanz ziehen Sie?

Wir mussten uns von Anfang an immer gegen Vorwürfe wehren, die teils auch schlicht falsch waren. Das wirkt sich irgendwann mal aus auf die öffentliche Wahrnehmung. Was sehr schade ist. Weil wir auch sehr viel erreicht haben.

Zum Beispiel?

Dass wir Barrierefreiheit und Inklusion umsetzen und die Para-Cycling-Wettkämpfe integrieren konnten, war super. Da wurden von den Athletinnen und Athleten unglaubliche Leistungen erbracht. Nur kamen die zu oft überhaupt nicht zur Geltung, weil wir lange unter dem schlechten Wetter litten und die Medien einen anderen Fokus hatten. Ein Highlight war natürlich der letzte Tag mit dem Strassenrennen der Männer. Ein cooler Wettkampf mit vielen Zuschauern, fantastischer Stimmung, tollen Bildern und perfektem Wetter. Diese Eindrücke bleiben schon auch haften.

Haben Sie es nie bereut, ein Teil der WM-Organisation geworden zu sein?

Es war teilweise schon hart. Aber unter dem Strich denke ich, dass sich der Aufwand trotz allem gelohnt hat.

Weshalb?

Ganz viele Leute haben daran gezweifelt, dass die Stadt und der Kanton Zürich so einen Anlass stemmen können. Am Ende gab es – aller Nebengeräusche zum Trotz – weder ein Verkehrschaos noch Probleme mit der Versorgung der «abgeschnittenen» Quartiere. Dass wir diese 53 Rennen in neun Tagen durchführen konnten, ist eine bemerkenswerte Leistung.

Olivier Senn musste in Zürich zum zweiten Mal innert 15 Monaten zu einem Todesfall an einem von ihm mitorganisierten Radrennen Stellung nehmen.
Bild: Claudio Thoma/Freshfocus

Sie waren mit der ersten, inklusiven WM ja wie ein Pilotprojekt. Würden Sie diesen Deal nochmal eingehen?

Per se finde ich die Idee sehr gut. Vor allem für den Radsport an sich. Aber man müsste dem ganzen Event zwei, drei Tage mehr Zeit verschaffen. Wir waren so eng getaktet. Zum Glück sind alle Pläne aufgegangen. Mit den Erfahrungen, die wir sammeln konnten, würde ich so einen Event aber auf jeden Fall nochmal durchführen wollen. Aber in Zürich wahrscheinlich nicht mehr (lacht).

Was nehmen Sie persönlich aus dieser neuerlichen Tragödie mit?

Vergessen kann man solche Katastrophen nicht. Wichtig ist jetzt, dass sich im Radsport grundsätzlich etwas ändert. Zum Glück haben das alle Beteiligten realisiert. Muriel Furrers Tod hat ganz, ganz viel bewegt.

Nämlich?

Zum Beispiel die Diskussion über eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Wenn man die vor einem Jahr geführt hätte, dann hätten einen alle komisch angeschaut. Aber der Radsport hat sich derart schnell entwickelt in den letzten Jahren, dass das Thema Sicherheit nun oberste Priorität haben muss. Wenn es aus dieser Tragödie einen positiven Effekt gibt, dann ist es dieser Sinneswandel.

Gibt es schon Ansätze, wie Sie an der Tour de Suisse die Sicherheit erhöhen wollen?

Wir werden sicher mit GPS-Tracking arbeiten. Wir haben die Lösung. Wie wir das umsetzen wollen, noch nicht. Aber wir sind an der Thematik intensiv dran. Da gibt es nichts zu diskutieren.

Offenbar wäre GPS-Tracking ja schon an der WM in Zürich möglich gewesen.

Im Nachhinein kann man die Welt immer einfacher erklären. Die Sicherheit war im Vorfeld der WM im Zusammenhang mit dem GPS-Tracking nie ein Thema. Da ging es um die TV-Übertragung, um die Website, Zuschauerservice, solche Dinge. Jetzt zu sagen, man hätte damit Muriels Leben retten können, ist absurd. Es ist auch völlig unnötig, im Nachgang über so etwas zu debattieren. Wichtig ist einzig und alleine, welche Lehren wir für die Zukunft aus diesem Unglück ziehen. Da sind wir mit höchster Dringlichkeit dran als Organisatoren der Tour de Suisse. Aber auch die UCI mit verschiedenen Arbeitsgruppen.

Trotzdem: Es ist für viele immer noch schwer begreiflich, dass Muriel Furrer so lange unentdeckt blieb.

Ja, das darf nicht passieren. Punkt. Da hat der Radsport geschlafen. Aber in Zukunft werden und müssen wir es machen. Die Technologie ist da. Jetzt müssen wir sie richtig einsetzen.

Wo versucht man sonst noch anzusetzen?

Ein Hauptthema ist sicher, herauszufinden, welche Faktoren solche Unfälle begünstigen und beeinflussen. Da sprechen wir grob von den drei Bereichen Geschwindigkeit, Technik der Velos und dem Informationsaustausch während der Rennen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir die Geschwindigkeit. Wir fahren die Strecken jetzt im Vorfeld mit einem anderen Fokus ab. Lange Zeit waren die Stellen, an denen man stark abbremsen muss, im Mittelpunkt des Interesses. Wenn man dort stürzt, sind die Folgen aber meistens nicht so gravierend. Das Problem sind mehr die Kurven, die man mit höchstmöglicher Geschwindigkeit befährt. Wenn dort im Rennen etwas nicht 100 Prozent richtig läuft, dann kann es richtig, richtig kritisch werden. Da müssen wir anders beurteilen und entsprechende Massnahmen ergreifen.

Welche Massnahmen kann man realistischerweise zuerst umsetzen?

Die Risikobeurteilung und die entsprechende Umsetzung in die Streckensicherheit, dass muss machbar sein. Im Idealfall können wir diese umfangreichen und präziseren Informationen an der Tour de Suisse 2026 den Teams und den Fahrern zur Verfügung stellen. GPS-Tracking schaffen wir, wie erwähnt, schon 2025. Wobei es da noch einige Details gibt, die man klären muss.

Muriel Furrer (l.) während des WM-Juniorinnen-Rennens, kurz bevor sie ihren tödlichen Unfall erlitt.
Bild: Imago/Alex Whitehead/Swpix.com

Spüren Sie als Tour-de-Suisse-Direktor die Folgen dieser Unglücke? Kommen Fragen von Sponsoren?

Das Thema Sicherheit ist sehr präsent. Ich verstehe auch, dass die Sponsoren wissen wollen, was wir in diesem Bereich planen. Aber es ist nicht so, dass einer deswegen nicht mehr dabei sein will. So wie etwa nach den Doping-Skandalen Ende der 1990er-Jahre. Im Gegenteil. Der Tenor aus der Velobranche geht eher in die Richtung: «Wo können wir mithelfen?»

Sie waren jetzt zweimal an vorderster Front involviert bei Rennen mit Todesopfern. Waren Sie noch nie an dem Punkt, an dem Sie sich sagten: «Ist es mir das Risiko noch wert, meinen Kopf hinzuhalten als Organisator?»

Davonlaufen ist für mich keine Option. Im Gegenteil: Wir als Organisatoren wollen einen Schritt nach vorne machen. Ich fühle mich auf eine Art auch verpflichtet dazu. Wenn ein Problem auftaucht, dann suche ich eine Lösung. Das ist mir extrem wichtig. Ich würde es gerne sehen, wenn man mal von uns sagen wird, dass wir einen Teil dazu beigetragen haben, die Risiken im Radsport zu reduzieren. Nur zu sagen: «Das ist mir zu gefährlich, ich höre auf», das bin nicht ich. Dazu bin ich noch zu wenig alt (lacht).

Glauben Sie an Gott?

Nein. Ich bin zwar sehr religiös aufgewachsen. Meine Eltern waren sehr gläubig. Aber ich hatte dann irgendwann das Gefühl, dass das nicht meine Welt ist. Mit 25 bin ich aus der Kirche ausgetreten.

Wo suchen Sie dann in solchen schwierigen Momenten Zuspruch oder Trost?

Meine Frau ist für mich in dieser Beziehung extrem wichtig. Aber natürlich auch die Leute, die direkt betroffen sind. Also mein Tour-de-Suisse-Team. Wenn man so ein Drama zweimal miterleben muss, dann schweisst das schon zusammen. Und ich kann auch für mich selber recht gut mit solchen Situationen umgehen.

Sie wirken wirklich immer sehr abgeklärt.

Ich habe kein Problem damit, wenn jemand auf mich persönlich losgeht. Auch in den sozialen Medien. Hart wird es erst, wenn es meine Familie betrifft. Wenn die Kinder weinend nach Hause kommen, weil sie irgendwo etwas über ihren Vater aufgeschnappt haben. Aber ich lebe für den Radsport. Und glaube, dass wir als Team einen guten Job machen. Es gibt keinen Grund zum aufhören.

Muriel Furrers Eltern äussern sich erstmals öffentlich

Seit Muriel Furrers Unfall sind fast drei Monate vergangen, doch noch immer ist in Bezug auf die Ereignisse, die zum tragischen Tod der 18-Jährigen geführt haben, vieles unbekannt. In einer grossen Reportage vom der «New York Times» zugehörigen Sport-Medium «The Athletic» äusserten sich nun erstmals Furrers Eltern – und stellten klare Forderungen an den Rad-Verband Union Cycliste Internationale (UCI).

«In meinen Augen dauerte es zu lange, bis sie gefunden wurde», erklärte Vater Reto Furrer, «wenn es einen Tracker gibt, muss man diesen benutzen. Sie hatten eine Art Tracker, nicht den besten, aber es war einer vorhanden.» Die Daten wurden jedoch lediglich dafür verwendet, dass die TV-Stationen die Fahrer auf den Bildschirmen identifizieren konnten. Es gab kein öffentlich zugängliches Sicherheitssystem, mit dem zum Beispiel die Verantwortlichen von Swiss Cycling hätten überprüfen können, wo Muriel Furrer ist. Ausserdem durften die Fahrerinnen ihre eigenen Tracking-Systeme nicht am Velo anbringen. Dies sorgt bei den Eltern ebenfalls für Unverständnis. Wenn sie alleine trainierte, konnten sie jeweils verfolgen, wo ihre Tochter war, bei der WM war dies nun aber nicht möglich.

«Es bringt uns Muriel zwar nicht zurück, aber wir müssen sichergehen, dass so etwas nicht mehr passiert.» Dabei bemerkten die Eltern schon früh, dass irgendetwas nicht stimme. Nachdem Reto und Christine Furrer ihre Tochter vor dem Start des Rennens in Uster noch gesprochen und die gemeinsamen Rituale durchgeführt hatten, reisten sie zum Anstieg an der Zürichbergstrasse, wo sie das Rennen verfolgen wollten. Doch Muriel Furrer sollte diese Stelle nie passieren. «Nach einer halben Stunde war mir klar, dass etwas Schlimmes passiert war», sagt Reto Furrer bei «The Athletic».

Dennoch dauerte es noch eine weitere Stunde, bis Muriel Furrer in einem Waldstück bei der Abfahrt in Richtung Küsnacht gefunden wurde. Deshalb fordert Reto Furrer: «Ich hoffe wirklich, dass sie etwas ändern. Es bringt uns Muriel zwar nicht zurück, aber wir müssen sichergehen, dass so etwas nicht mehr passiert.»

Bevor die Untersuchungen der Polizei und der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft nicht beendet sind, will die Familie Furrer weder Organisationen noch den Weltverband kritisieren. Ihnen ist aber wichtig, dass allfälliges Versagen identifiziert wird, damit keine Familie mehr erleben muss, was sie durchmachen mussten.

Besonders schwierig macht es Reto und Christine Furrer, dass ihre Tochter die verhängnisvolle Abfahrt nach Küsnacht schon unzählige Male gefahren ist. «Sie kannte jeden Meter und jede Kurve», sagt der Vater und die Mutter ergänzt: «Deshalb ist es so unbegreiflich, dass alles so passieren konnte.» (nih)

 

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