«Meine Grossmutter war eigentlich eine Prinzessin!»: Hape Kerkeling ist Nachfahre der Royals – und meint das todernst
Hape Kerkeling, Sie haben in den letzten Jahren intensiv Ahnenforschung betrieben. Worauf sind Sie gestossen?
Hape Kerkeling: Es hat sich ein Familienmotto des Versteckspielens herauskristallisiert. Ich musste eine Zeit lang meine Homosexualität verstecken, mein Grossvater Kerkeling musste sich vor den Nazis verstecken, weil er Kommunist war, mein Vorfahre Barend aus dem Goldenen Zeitalter in Amsterdam musste sich verstecken, weil er dem Staatsglauben, dem Calvinismus, nicht gefolgt ist, sondern der Liebe wegen zum Katholizismus übergetreten ist. Und meine Grossmutter musste sich als Strassenbahnschaffnerin verstecken, obwohl sie eigentlich eine Prinzessin war.
Die Mutter Ihrer Oma Bertha, bei der Sie aufgewachsen sind, stammt doch aus einer armen Familie und arbeitete um 1900 in einer Porzellanmanufaktur im böhmischen Schlaggenwald, im heutigen Tschechien. Wie kam es dann, dass sie eigentlich eine Prinzessin war?
Auch wenn ich sonst bekanntermassen zum Scherzen aufgelegt bin: Ja, so ist es! DNA-Tests und meine historische Forschung laufen darauf hinaus, dass Edward VII. höchstwahrscheinlich der Vater meiner unehelich geborenen Grossmutter ist. Ich habe bis kurz vor Abgabe meines neuen Buches «Gebt mir etwas Zeit. Meine Chronik der Ereignisse» überlegt: Kann ich das wirklich schreiben? Aber zum Schluss war ich mir meiner Sache so sicher, dass ich jetzt mit dieser kühnen Behauptung an die Öffentlichkeit gehe.
Wie lernte denn Ihre Uroma 1903 den britischen König kennen?
Edward war dafür bekannt, dass er ein unglaublicher Charmeur und Fremdgänger vor dem Herrn war. Er hatte während seiner Ehe mit Königin Alexandra von Dänemark 55 Geliebte. Und das sind nur die, von denen man offiziell weiss. Unter ihnen waren Kurtisanen, Damen der feinen Gesellschaft, Prinzessinnen und Gräfinnen.
Und Ihre Uroma!
Genau. Es gibt ein altes Foto meiner Urgrossmutter. Es zeigt eine etwas propere, dunkelhaarige und jugendlich frische Frau. 1903 war sie 20, König Edward über 60 Jahre alt, und meine Uroma passte ziemlich genau in das Beuteschema des Königs.
Und wie hat dieses ungleiche Paar sich nun kennengelernt?
Es ist belegt, dass König Edward 1903 auf Kur in Marienbad war, meine Uroma lebte damals ganz in der Nähe. Es ist auch dokumentiert, dass er dort einer jungen Dame das Leben gerettet hat, indem er sich todesmutig vor ihr Rad stellte, als sie mit gerissener Kette und kaputter Bremse einen Berg herunterrauschte. Das könnte meine Urgrossmutter gewesen sein. Aber wie genau meine Uroma und der König sich schliesslich nähergekommen sind, weiss ich nicht.
Wenn Ihre Oma die Tochter von King Edward VII. war, warum ist sie dann nicht im Buckingham Palace aufgewachsen?
Na, ich denke, da wäre sie nicht so gern gesehen worden. Edward war verheiratet. Er war nach Angaben von Historikern sogar glücklich verheiratet – auch wenn das angesichts von mindestens 55 Liebschaften etwas absurd klingt. Doch Edward hat sich offensichtlich bis zu seinem Tod um meine Urgrossmutter und seine uneheliche Tochter, meine Oma, gekümmert.
Wo wuchs Ihre Oma auf?
Die ersten sechs Jahre in Böhmen. Aber ich konnte nachweisen, dass meine Grossmutter knapp drei Monate nach dem Tod Edwards im Jahr 1910 zum dandyhaften Reichsgrafen Bonifatius von Hatzfeldt-Trachenberg und dessen Frau Prinzessin Olga von Manoukbey auf das Schloss «Haus Dyckburg» bei Münster zog. Das kinderlose Paar war mit Edward befreundet und hat meine Grossmutter nach Edwards Tod als Mündel grossgezogen.
Was spricht noch dafür, dass Ihre Oma die Tochter des englischen Königs ist?
Neben der verblüffenden Ähnlichkeit zwischen meiner Grossmutter, meinem Vater, meinem Bruder, meiner Tante und der royalen Familie liefert der Vorname meiner Oma einen weiteren Hinweis auf ihren wahren Vater. König Edward VII. wurde Bertie genannt. Meine Grossmutter hiess Bertha; das war damals kein besonders gängiger Name. Wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist! Als meine Grossmutter schliesslich zunehmend dement wurde, sprach sie immer öfter von ihrer Kindheit im Schloss. Diese amüsanten Episoden, die wir, die Familie, für frei erfundene Histörchen hielten, entpuppten sich als wahr.
Haben Sie das britische Königshaus schon über Ihre Erkenntnisse informiert?
Bisher habe ich mich diesbezüglich in bescheidener Zurückhaltung geübt. Ich denke nicht, dass es sie so brennend interessiert.
Wollen Sie jetzt nach der britischen Krone greifen?
Das könnte Ihnen so passen! Und selbst wenn ich wollte, dürfte das schwierig werden. Schliesslich wurde meine Grossmutter unehelich geboren, katholisch getauft und war mit einem Kommunisten verheiratet.
Hat sich Ihr Leben geändert, seitdem Sie wissen, dass Ihre Oma die uneheliche Tochter des englischen Königs war?
Donnerstags um vier machen wir jetzt immer Tea-Time mit Gurkensandwiches und allem Brimborium. Mein zuvor sehr lebhaftes Interesse an Königshäusern hat übrigens etwas nachgelassen. Seitdem ich weiss, wo meine Oma herkommt, ist der Stachel irgendwie aus dem Fleisch.
Neben der Geschichte Ihrer Oma erzählen Sie in Ihrem neuen Buch auch erstmals die Geschichte Ihrer grossen und tragischen Liebe.
Ja, ich erzähle die Geschichte von Duncan, um ihm und seiner Leidensgeschichte, die er mit so vielen Leidensgenossen teilen musste, ein Denkmal zu setzen. Ich habe Duncan 1987 in Amsterdam kennengelernt. Ich war 23, Duncan 27 Jahre alt. Uns verband schnell eine sehr intensive Liebesbeziehung, die jedoch nach wenigen Monaten, an Duncans 28. Geburtstag, eine tragische Wendung nahm.
Was geschah damals?
Duncan fand an seinem Geburtstag heraus, dass er HIV-positiv war. Die Talfahrt, die wir dann erlebten, versuche ich im Buch zu beschreiben. Das kann ich in einem Interview auch gar nicht wiedergeben. Deswegen habe ich den Weg des Buches gewählt. Wer es liest, hat mich schon ein gutes Stück des Weges im Vieraugengespräch begleitet, bevor ich zu dieser Geschichte komme. Erst nachdem ich auf vielen Seiten Vertrauen zu meinen Lesern hergestellt habe, fühle ich mich in der Lage, darüber zu berichten.
Sie schreiben über den jungen Hape Kerkeling: «Ich bin ein spiessiger Schwuler.» Was haben Sie damals darunter verstanden?
Ich beschreibe mal, was ich heute darunter verstehe: Ich liebe den Christopher Street Day. Ich liebe es, wenn die Leute bunt geschminkt durch die Strassen laufen. Aber man wird mich niemals in einem rainbowfarbenen Leder-Tanga auf einem Pride-Wagen finden.
Wie viel Homophobie gibt es heute noch in Deutschland?
Die Gesetzgebung ist mittlerweile liberal und gut. Andererseits gibt es heute viel mehr Anfeindungen als noch vor zehn Jahren. Aber das betrifft nicht nur Homosexuelle, sondern auch People of Colour und alle anderen Minderheiten. Ich darf nicht vergessen: Als Homosexueller gehöre ich einer Minderheit an. Und wenn es hart auf hart kommt, kriegen immer zuerst die Minderheiten den Knüppel auf den Kopf. In diesem Bewusstsein lebe ich.
Sie waren acht Jahre alt, als Ihre Mutter Suizid beging und 25 Jahre alt, als Ihre grosse Liebe an Aids starb. Kann ein Mensch sich von zwei so schweren Traumata erholen?
Durch solche Traumata lernt man, dass Zeit nicht einfach sinnlos verrinnen darf. Darum gestalte ich mein Leben so, dass ich jeden Tag einigermassen zufrieden bin. Durch Traumata lernt man, dass man nie die Hoffnung verlieren muss, weil die Seele sich – wie eine Blume – immer zum Licht hin ausrichten möchte. Das ist ein Mechanismus, auf den ich mich verlassen kann. Das Leben muss weitergehen.