Ruben Östlund triumphierte in Cannes mit seiner Brachialsatire «Triangle Of Sadness». Seinen Kritikern entgegnet er nur: «Fuck you!»
Schon einmal, vor fünf Jahren, hatte der Schwede Ruben Östlund für seine Kunstsatire «The Square» in Cannes die Goldene Palme erhalten. Der Coup gelang dem 48-Jährigen in diesem Jahr zum zweiten Mal mit «Triangle Of Sadness». Die bitterböse Gesellschaftssatire über die Reichen und Schönen inklusive einer ausführlichen Fäkalszene auf einem Kreuzfahrtschiff stand ganz oben auf dem Siegertreppchen beim weltweit wichtigsten Filmfestival. Auch in seinem Lawinen-Thriller «Höhere Gewalt» von 2014 hatte Östlund existenzialistische Fragen zur Moral verhandelt.
Herr Östlund, muss man sich Zyniker als glückliche Menschen vorstellen?
Ruben Östlund: Ursprünglich hatte das Wort Zyniker eine ganz andere Bedeutung als heute. Im antiken Griechenland war das eine Bewegung, die eine kritische Haltung zur Gesellschaft hatte. Sehr beängstigend finde ich die heutige Bedeutung, die mit diesem Spruch auf der Modeshow im Film zum Ausdruck kommt: «Zynismus maskiert sich als Optimismus.»
Wie sieht diese Maskierung aus?
Schauen Sie sich doch nur dieses ganze Greenwashing an, wo sich Konzerne mit positiven Werten schmücken. Und die Menschen klicken dazu in sozialen Medien brav mit einem Daumen nach oben. Das ist übelste Realsatire, die Kunst gar nicht mehr steigern kann. Grosse gesellschaftliche Fragen, wie die Klimakrise, auf das Individuelle herunterzubrechen, ist der schlimmste Zynismus unserer Zeit. Zu behaupten, man verzichte jetzt mehr aufs Fliegen, ist grotesk. Denn das ändert wenig, für eine Lösung braucht es Beschränkungen auf globaler Ebene.
Als Modefotografin steckt Ihre Frau mitten in dieser Glamour-Industrie …
Meine Frau ist keine Zynikerin, sie verdummt auch keine Menschen. Sie würde nie von nachhaltiger Mode sprechen, weil sie genau weiss, dass so eine Bezeichnung völliger Unsinn ist. Mode wird jedes Frühjahr und jeden Herbst neu in die Läden gebracht, da kann doch niemand von «nachhaltig» sprechen!
Verstehen Sie sich als ein Moralist?
Moralisten sind Typen, die anderen immer erklären, was sie falsch machen. Ich zeige nicht gerne mit dem Finger auf andere, ich zeige lieber auf mich selbst. Mit sämtlichen schlechten Eigenschaften und Fehlern meiner Figuren kann ich mich identifizieren! Bei einer Lawine hätte ich wohl auch feige meine Familie verlassen. Als Museumschef hätte ich skrupellos meine Macht missbraucht. Und ich verstehe, wie die alte Frau im Rettungsboot ihre Position gnadenlos für Sex mit einem hübschen Model ausnutzt. Nein, ich bin also kein Moralist! (Lacht)
Der britische «Guardian» beschrieb Ihre filmische Methode als «Vorschlaghammer und Skalpell» – teilen Sie die Einschätzung?
Das ist ein wunderbares Kompliment. Das notiere ich mir gleich einmal! (Lacht) Zu meinen Idolen gehört Michael Haneke, der steht wirklich für das Skalpell im Kino. Zugleich wollte ich wild und überraschend sein. Ich möchte wegkommen vom Arthaus-Kino, wie es heute aussieht. Mein Konzept war eine wilde, unterhaltsame Achterbahn für Erwachsene.
Die Achterbahn wäre zu schlicht, warfen Ihnen manche Kritiker in Cannes vor. Was sagen Sie denen?
Fuck you! (Lacht) Wir sagen gerne, die Probleme unserer Gesellschaft wären sehr komplex. Das stimmt aber nicht. Die schlichte Lösung lautet: Beute keine Menschen aus! So einfach ist das, damit wäre das Problem gelöst. Aber wir leben in einer Welt, in der wir die Ausbeutung von Menschen akzeptieren. Und in der wir uns komfortabel in dieser Position eingerichtet haben. Menschen geben nur ungern ihre Privilegien ab. Doch das müssten wir alle gemeinsam und gleichzeitig tun.
Wie fühlen Sie sich mit dieser Einstellung im dekadenten Champagner-Kosmos von Cannes mit Glamour, Bonzen und dicken Jachten? Haben Sie je daran gedacht, die zweite Palme zu verweigern?
Nein, ich möchte jetzt auch noch eine dritte Palme haben! (Lacht) Für mich ist der Preis Fiktion, das nehme ich nicht allzu ernst. Cannes bietet eine grossartige Bühne, um einen Film wie meinen einem möglichst grossen Publikum zu präsentieren. Natürlich ist man glücklich über die blosse Teilnahme und erst recht über eine Auszeichnung. Aber übertrieben ernst kann man das nicht nehmen.
Was wird Ihr nächstes Projekt?
Es geht um einen Langstreckenflug, bei dem gleich nach dem Start das Unterhaltungsprogramm ausfällt. Die Passagiere erwartet ein fünfzehnstündiger Flug – ohne jede digitale Ablenkung. So wird das Flugzeug im Film zum Laboratorium für ein soziologisches Experiment. Der Titel lautet «The Entertainment System Is Down».