«Eine fiese Unruhe»: Dieses Theaterstück testet die Glücksversprechen der Social-Media-Coaches
Um direkt mit dem Thema Ihres Stücks einzusteigen: Welche Neujahrsvorsätze haben Sie sich vorgenommen?
Corinne Maier: Ehrlich gesagt, keine. Es gibt die typischen Vorsätze, wie mehr Sport treiben, keinen Alkohol mehr trinken. Aber daran, dass man sich zum Jahreswechsel grundlegend verändern soll, glaube ich schon länger nicht mehr. Wie viele möchte ich meinen Kalender besser ausbalancieren, doch das ist ein Thema, das mich das ganze Jahr beschäftigt.
Was hat Sie auf die Idee zum Stück «YES! YES! YES!» gebracht?
Ganz einfach meine Faszination für das Thema Coaching und Selbstoptimierung. Ich habe dazu viele Podcasts gehört und einige Bücher gelesen. Es gibt diesen motivierenden – empowernden – Aspekt dabei, dass man sein Leben selbst im Griff hat. Dass man verändern kann, was einen stört. Mit der Zeit kam mir das Versprechen jedoch schal vor.
Was meinen Sie damit?
Grundsätzlich ist der Wunsch nach Entwicklung sehr gesund und natürlich. Wir sind keine statischen Wesen, wollen lernen und wachsen. Gleichzeitig ist es aber so, dass seit dem Siegeszug der Psychoanalyse im letzten Jahrhundert und der vermehrten psychologischen Auseinandersetzung in unserem Alltag die Erwartungen an uns selbst steigen. Je mehr wir die Quelle unseres Glücks nur in uns selbst ausmachen, desto weniger setzen wir uns mit unserer Umwelt, in der wir uns bewegen, auseinander. Wenn wir alle lieber ins Meditations-Retreat gehen, statt uns politisch zu äussern, kommen wir als Gesellschaft nicht weiter. Diese Tendenz, dass wir zunehmend um uns selbst kreisen, stellen wir im Stück zugespitzt dar.
Warum sind wir uns selbst denn nicht gut genug?
Ich glaube, das Thema hat viel mit Angst zu tun. Die Angst, nicht zu genügen, die Angst vor dem sozialen Abstieg. Es ist vielleicht ein Klischee, aber vor ein paar Jahrzehnten war es üblicher, dass man sein Leben lang seinen Job abarbeiten konnte. Wer heute Schritt halten will, muss sich weiterentwickeln. Das ist fies, da es diese stete Unruhe verbreitet.
Und dann geht man zum Coaching. Was macht ein Coach überhaupt?
Ich habe persönlich sehr spannende Erfahrungen gemacht mit Coachings. Als Theaterkollektiv haben wir einmal eine Coachin eingeladen. Innert kürzester Zeit hat diese mit gezielten Fragen unsere Arbeitsmethoden, unsere unterschiedlichen Ideen und Visionen auf den Tisch gelegt. Dies war schmerzhaft, da es zur Auflösung des Kollektivs geführt hat, gleichzeitig hat es extrem viel Klarheit geschaffen. Die Coaches, die man von den sozialen Medien kennt, haben damit aber nicht mehr viel zu tun. Dort geht es meist mehr um das Onlinegeschäft als um den persönlichen Kontakt.
Dies hinterfragen Sie im Stück.
Mir geht es keineswegs um ein Schlechtmachen. Das Thema ist ambivalent, was es interessant für die Bühne macht. Das Stück soll Spass machen. Das versuchen wir durch eine lustvolle Reproduktion der Bilder, die man aus der Szene kennt. Die Coaches haben ihren eigenen Stil, mit denen sie nicht nur Tausende Fans auf Social Media begeistern, sondern auch physisch ganze Hallen füllen. Das kann man im Theater gut aufgreifen. Dann gibt es aber auch einen wichtigen Moment im Stück, der dem Publikum Raum lässt für eigene Fragen und Gedanken.
Im Stück tritt die Performerin Ntando Cele als Coach auf. Was gibt sie dem Publikum mit?
Sie ist eine fantastische Performerin und bringt ihre eigene Sicht auf das Thema mit. Bei aller Kritik gibt sie dem Publikum auch handfeste Tipps mit auf den Weg. Der Titel sagt es: Es geht um Offenheit, ums Annehmen, eben ums Ja-Sagen.