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Inthronisation und Königswürde

Gedanken zu Auffahrt von Pfarrerin Silvia Bolatzki aus Brittnau.

Zuerst ein Witz: Beim Begräbnis eines reichen Mannes sah man einen Fremden genauso laut klagen und weinen wie die anderen. Der Pfarrer, der die Trauerfeier hielt, ging zu ihm und fragte: «Sind Sie vielleicht ein Verwandter des Verstorbenen?» – «Nein.» – «Warum weinen Sie dann?» – «Eben darum.»

Erben ist schön. Wer kennt sie nicht: die Sehnsucht nach Ruhe und Sicherheit, die viele mit der Vorstellung von materiellem Wohlstand verknüpfen? Jesus ging den umgekehrten Weg: Er liess alles los, was er im Himmel an Privilegien, Besitz und Macht hatte, wurde ein Menschlein, schwach und angewiesen auf menschliche Eltern, lernte den Beruf eines Bauhandwerkers (so vermutet man), lernte und lehrte, stellte in Frage und liess sich in Frage stellen, heilte und half – und liess sich von seinen Feinden und den politisch Mächtigen zum Tod verurteilen. Nach drei Tagen geschah der Skandal seiner Auferstehung, an dem seither Menschen rumrätseln: ob und wie und überhaupt. Item, die Evangelien berichten es so, Maria Magdalena begegnete ihm als Erste und bezeugte es als Erste (das berichten immerhin vier Evangelien), ein Skandal auch das. Denn das Wort von Frauen zählte vor Gericht nicht, sie waren als Zeuginnen nicht zugelassen. All diese Urteile und Vorurteile durchbrach Jesus und setzte bewusst und gezielt zum Gegenbeweis an.

Dann begegnete er seinen Jüngern, dann 500 Leuten aufs Mal, die zur Zeit der Verschriftlichung alle noch lebten und die man als Zeuginnen und Zeugen damals befragen konnte (1. Korinther 15, 6). Während 40 Tagen zeigte er sich und sprach mit ihnen über bevorstehende Ereignisse wie die verheissene Kraft, die bald auf sie kommen werde. Nach 40 Tagen kam der «offizielle Abschied», der ein Aufstieg war. Denn Christus ist «aufgestiegen in den Himmel», wie wir im Glaubensbekenntnis beten. Wir feiern diesen Aufstieg am Donnerstag, 25. Mai, jeweils 40 Tage nach Ostern, und nennen das Fest «Auffahrt», in Deutschland heisst das Fest «Himmelfahrt».

Was macht er denn dort, im Himmel, fragen die Kinder. Im Himmel nahm Jesus Platz auf dem Thron, auf der rechten Seite seines Vaters. Himmelfahrt steht für die Inthronisation Jesu. Was geschieht bei einer Inthronisation? Königin Elisabeth II. wurde am 2. Juni 1953 in der Westminster Abbey in London feierlich als Königin eingesetzt. Drei Millionen Menschen säumten Londons Strassen, am Fernsehen sahen 20 Millionen zu und verfolgten die Zeremonie in 39 Sprachen. Erstmals in der Welt- und Filmgeschichte wurde eine Inthronisation gefilmt (obwohl Churchill dagegen war). Zu den Zeichen ihrer Königswürde gehörten der Königsthron, die Königskrone, der Reichs­apfel und das Zepter (Regierungsstab) sowie die Salbung mit Öl. Die Salbung mit Öl war der einzige Akt, der nicht gefilmt und im Fernsehen übertragen wurde, aus Respekt vor der Heiligkeit dieses Zeichens und dieses Aktes.

Wie war das denn zur Zeit Jesu? Ein König im Alten Orient wurde nicht gekrönt, sondern gesalbt; er war nicht ein «Gekrönter», sondern ein «Gesalbter». Himmelfahrt heisst: Jesus wird zum Gesalbten; hebräisch «Messias», griechisch «Christos». Himmelfahrt heisst, Jesus wird zum Christus. Er ist eingesetzt als König, er sitzt auf dem Thron und regiert.

Warum sehen wir denn nichts von dieser Königsherrschaft, fragen Kinder. Einerseits sagte Jesus zu einem wichtigen politischen Herrscher: «Mein (König-)Reich ist nicht von dieser Welt.» Andrerseits kommt im «Unser Vater»-Gebet der König gleich zweimal vor. Wir beten: «Dein (König-)Reich komme» und gleichzeitig «Denn dein ist das (König-)Reich.» Wir bitten das Königreich Gottes also herbei im ersten Teil, und gemäss dem Schlussteil ist es schon da. In dieser Spannung leben wir. Wir wissen, dass Jesus auf dem Thron alles übergeben ist, und sehen gleichzeitig eine Unerlöstheit an vielen Schauplätzen dieser Welt.

Himmelfahrt oder Auffahrt könnte auch heissen, hinzusehen, wo das Königreich Gottes in dieser Welt bereits Wirklichkeit geworden ist: Es gibt Schulbildung für Reich und Arm, Jungen und Mädchen. Es gibt Krankenpflege und Soziale Versorgung. Es gibt Freiheit und Mitspracherecht. Es gab einen William Wilberforce, der sich für Sklavenbefreiung einsetzte, und eine Mathilda Wrede und Johann Hinrich Wichern, die Gefängnisreformen durchsetzten. Das alles sind Errungenschaften engagierter Christinnen und Christen. Denn der scheidende Christus hat die Menschen beauftragt, seine lebensverändernde Botschaft hinauszutragen in alle Welt.

Seither lassen Christinnen und Christen sich anstecken von einem, der auf einem unsichtbaren Thron sitzt, und dem, was ihn auszeichnet: Er ist voller Mitgefühl und Hingabe, voller Zuwendungslust und Hoffnungskraft für die Zukurzgekommenen dieser Welt. Wo er erscheint, zieht der Duft der Freiheit ein.

Das Weinen wird aufhören. Warum? Er hat seine Jüngerinnen und Jünger zurückgelassen als Beauftragte, Begabte, Gesegnete und von Engeln Umgebene (Lukas 24, Apostelgeschichte 1). Er hat sie zu Erbinnen und Erben des grössten Königs eingesetzt. Er hat seine Königswürde auf sie gelegt und mit seiner Liebeskraft ein Feuer entfacht, das seit 2000 Jahren keine Macht der Welt auszulöschen vermochte. Im Gegenteil: Sie wird immer stärker.