Irène Kälin wird zur höchsten Schweizerin gewählt: «Erfüllt mich mit Stolz und Demut»
Kälin erhielt am Montag zu Beginn der Wintersession 151 von 166 gültigen Stimmen. Damit steht zum 14. Mal ein Ratsmitglied aus dem Kanton Aargau an der Spitze des Nationalrates. Nach der Baselbieter Parteikollegin Maya Graf ist es erst das zweite Mal, dass die Grünen dieses Amt besetzen können. Kälin löst Andreas Aebi (SVP/BE) ab, welche die grosse Kammer souverän und mit viel Umsicht durch die Coronakrise geführt hatte. Zum ersten Vizepräsidenten rückt Martin Candinas (Die Mitte/GR) auf. Zum zweiten Vizepräsidenten wählte der Nationalrat Eric Nussbaumer (SP/BL).
Andreas Aebi sagte in seiner Rede, es sei ihm eine Ehre gewesen, als «Parlamentspräsident in diesem fantastischen Land» zu wirken. Die Aufgabe habe er sehr gerne und mit grossem Respekt wahrgenommen. «Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir uns um das gegenseitige Verständnis bemühen», betonte Aebi. Obwohl viel von einer Spaltung der Gesellschaft gesprochen werde, spiele das «Vereinende» hierzulande die «stärkere Kraft».
In ihrer Antrittsrede bedankte Kälin sich für das ausgesprochene Vertrauen: «Es erfüllt mich mit Stolz und Demut.» Ihr Amtsjahr möchte sie unter das Motto einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie stellen. Was heute als selbstverständlich gelte, sei es für ihre Grossmutter nicht gewesen. Kälin verwies auf die zehn Frauen, die auf den Tag genau vor 50 Jahren als erste weibliche Vertreterinnen in den Nationalrat eingezogen waren. In ihren Augen bedeutet Vereinbarkeit aber auch «Vereinbarkeit der verschiedenen Meinungen». «Wir sind ein Land von Minderheiten», betonte Kälin. Es müsse wieder besser gelingen, Lösungen und Kompromisse zu finden.
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In Nationalrat nachgerutscht
Ihre politische Karriere begann die 34-Jährige 2010 im Aargauer Kantonsparlament, in dem sie sieben Jahre politisierte. Über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt wurde sie, als sie von 2012 bis 2014 als Vizepräsidentin der Grünen Schweiz amtete. Der Sprung in den Nationalrat gelang Kälin jedoch nicht auf Anhieb. Bei den Eidgenössischen Wahlen 2015 kandidierte sie erfolglos für den National- und den Ständerat.
Den Einzug ins Parlament verdankte Kälin schliesslich Jonas Fricker. Der Grüne Nationalrat aus dem Kanton Aargau hatte in der Herbstsession 2017 während der Debatte um die Fair-Food-Initiative einen verhängnisvollen Vergleich zwischen Schweinetransporten und der Deportation von Juden nach Auschwitz gezogen. Auf Druck seiner Partei trat Fricker darauf zurück.
Ende November 2017 übernahm Kälin dann als Zweitplatzierte auf der Wahlliste der Grünen diesen Sitz. Bei den Wahlen 2019 wurde sie im Amt bestätigt. Kälin ist Mitglied der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates. Die studierte Islam- und Religionswissenschafterin ist mit dem bekannten Journalisten Werner De Schepper liiert.