«Armenhaus Europas»: Der Schweiz wurde immer wieder der Abstieg vorhergesagt – es kam komplett anders
Vor ein paar Tagen habe ich in meinem Archivschrank gewühlt. Dort lagert meine Diplomarbeit, die ich 1999 an der Uni geschrieben habe – zur damaligen Fusion von UBS und Bankverein. Nie mehr hatte ich darin geblättert. Doch nun erinnerte mich ein Artikel der «Financial Times» daran. Die Wirtschaftszeitung berichtete diese Woche, 13’000 Stellen seien seit der Bekanntgabe der CS-Übernahme durch die UBS abgebaut worden. Das sei rekordverdächtig.
Die Zahl kam mir bekannt vor, und tatsächlich: Auch nach der Fusion von UBS und Bankverein vor fast einem Vierteljahrhundert, so las ich in meiner Diplomarbeit nach, wurden 13’000 Stellen gestrichen. Davon 1800 durch Kündigungen im Inland. Das war ein gewaltiger Schock. Die «Basler Zeitung» gab ein Extrablatt heraus. Die Sorge war riesig. Man fragte damals: Kann der Schweizer Arbeitsmarkt diese Massenentlassung verkraften? Ist das der Anfang vom Ende des Finanzplatzes?
Weniger abhängig vom Finanzplatz
Dieser verlor seither tatsächlich an Bedeutung. Das hat aber auch eine gute Seite: Die Abhängigkeit der Schweiz von den Grossbanken nahm ab. Zugleich ist die helvetische Wirtschaftskraft grösser denn je.
Ende der 1990er-Jahre gab es statt drei noch zwei Grossbanken, jetzt haben wir noch eine, die UBS. Das ist bedauerlich, aber verkraftbar. Die Schweiz ist mehr als ein Finanzplatz. Und im Vergleich zu früher ist der Arbeitsmarkt heute viel robuster: Wer bei UBS und CS jetzt die Stelle verliert, findet schnell wieder eine neue. Das Problem ist nicht mehr Arbeitslosigkeit, sondern: Arbeitskräftemangel!
In meinem Archiv bewahre ich auch historische Zeitungsausgaben und spannende Zukunftsprognosen auf. Jahrzehnte später sind diese sehr erhellend.
20 Prozent Arbeitslose? Von wegen
Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz prophezeite nach dem EWR-Nein 1992, es drohe eine Arbeitslosigkeit von 20 Prozent (aktueller Wert: 2 Prozent).
Im Jahr 2005 warnte der damalige Staatssekretär Jean-Daniel Gerber, die Schweiz gehöre in 20 Jahren zu den ärmsten Ländern Europas, wenn die Wirtschaft weiterhin so schwach wachse. Der Titel eines Presseartikels: «Die Schweiz als Armenhaus Europas?»
Es wäre falsch, in Selbstgenügsamkeit zu verfallen. Vielleicht ist die Schweiz gerade darum so stark, weil sie ewig an sich zweifelt und fast pathologisch ihren Abstieg fürchtet.
Aber zur Jahreswende darf man feststellen: Alle Untergangsprognosen schlugen fehl. Wenig spricht dafür, dass sich das 2024 ändern wird.