Noch eine Energie-Initiative – und diese steht aktuell ziemlich quer in der Landschaft
Die Schweizer Energiepolitik ist um ein Dossier reicher. Zum aktuellen Wust von Mantelerlass Strom, Solaroffensive und Windkraftausbau gesellte sich am Freitag eine Volksinitiative – auch dies bereits die dritte im laufenden Jahr, die sich mit der Schweizer Energiewirtschaft beschäftigt.
Ihr Titel lautet «Jede einheimische und erneuerbare Kilowattstunde zählt!» – ein Spruch, der ohne die beiden Adjektive schon ein paar Mal durch den Konferenzsaal des Bundesmedienzentrums gehallt war. In den vergangenen Monaten war er Inbegriff der Sorge vor einer drohenden Energie-Mangellage und damit Handlungsmaxime der damaligen Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Mittlerweile scheint die unmittelbare Gefahr gebannt, doch beim Walliser Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit ist die Angst nicht verflogen. Als Präsident des Verbands der Kleinwasserkraftwerke Swiss Small Hydro will er deshalb in die Verfassung schreiben, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien zügiger voranschreiten muss. Roduit redet damit zumindest in Grundzügen dem Zürcher Staatsrechtsprofessor Alain Griffel das Wort, der just diese Forderung unlängst in dieser Zeitung gestellt hatte.
Konkret verlangen die Initianten, dass der Bund «Massnahmen zur Erhöhung der Winterproduktion und der Energieeffizienz» ergreifen kann, wenn die Schweiz im Winterhalbjahr mehr als einen festzulegenden Grenzwert Strom importieren muss. Dann, so die Initiative, soll das nationale Interesse an Energie höher gewichtet sein als etwa der Umweltschutz.
Konfliktlinie innerhalb der Walliser Mitte-Partei
Die Güterabwägung zwischen Schutz und Nutzen der Natur ist aktuell ein enormes Debattierfeld in der Schweizer Energiepolitik, nicht zuletzt aufgrund der Kleinräumigkeit des Landes. Nicht zu kleinräumig allerdings, um die Diskussion innerhalb der Kantonsgrenzen einer einzelnen Partei von zwei Orten gleichzeitig aufzuzäumen. Roduit vertritt die Mitte für das französischsprachige Unterwallis im Nationalrat. Dieser wiederum wird demnächst über eine Energievorlage diskutieren, die in wesentlichen Teilen aus der Feder von Beat Rieder stammt, Ständerat aus dem deutschsprachigen Oberwallis.
Die Ansätze von Roduit und Rieder stehen aktuell ziemlich quer zueinander. Rieder gehört zu den treibenden Kräften, welche den Zubau von Solar- und Windkraftwerken auf Gesetzesebene beschleunigen wollen. Er ist sich sicher: Eine potenziell langwierige Verfassungsänderung ist dafür nicht nötig. Rieder wollte sich gestern nicht zu seinem initiativen Fraktionskollegen äussern.
Entsprechend unabgesprochen wirkte da der gestrige Auftritt von Roduit, der zwar als Präsident des Verbands Schweizer Kleinwasserkraftwerke amtet, im Parlament aber bislang nicht als grosser Energiepolitiker aufgefallen war. Flankiert wurde er bei der Lancierung der Initiative nicht etwa von gewichtigen Parteimitgliedern geschweige denn anderen Alliierten anderer Parteien, sondern lediglich von Unternehmerinnen und Unternehmern aus dem Bereich der Erneuerbaren. Auch im «heterogenen» Initiativkomitee finden sich keine Politgranden oder bekannten Funktionäre – dafür mit Marie Claire Graf ein bekanntes Gesicht der Klimabewegung.
Dennoch kann es am Ende sein, dass sogar Beat Rieder froh ist um die frisch lancierte Initiative. Dann nämlich, wenn sich der aktuelle Erneuerbaren-Turbo des Parlaments tatsächlich als verfassungswidrig herausstellen sollte. In diesem Szenario ist es denkbar, dass dank Roduits Vorarbeit die Schweizer Energiepolitik nicht um Jahre ins Hintertreffen gelangen würde – und Roduit wäre dann bestimmt auch nicht so allein wie am Freitag.