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Jetzt bringt die EU eigene «Konzernverantwortungs-Initiative» – sie betrifft auch Schweizer Unternehmen

Die EU-Kommission schlägt ein Lieferkettengesetz vor, das weiter geht als die abgelehnte Konzernverantwortungsinitiative. Die Schweizer Initianten fassen neuen Mut und fordern den Bundesrat zum Handeln auf.

Die Schweizer Konzernverantwortungsinitiative (KVI) wurde Ende 2020 zwar vom Volk angenommen, aber vom Ständemehr versenkt. Das sorgte nicht nur unter den Initianten für viel Ärger, sondern auch in der Bevölkerung.

Jetzt aber könnten die Kernanliegen der Initiative doch noch erreicht werden. Und zwar via EU-Kommission in Brüssel.

Auch Zulieferer sollen von Haftung nicht ausgeschlossen werden

Das am Mittwoch präsentierte «Lieferkettengesetz» sieht Sorgfaltspflichten für europäische Unternehmen vor, die in manchen Bereichen weiter gehen als die Schweizer KVI, geschweige denn den Anfang Jahr in Kraft getretene Gegenvorschlag.

Konkret sollen Menschenrechtsverletzungen entlang der Wertschöpfungskette haftbar gemacht werden können. Das heisst, wenn ein Unternehmen seine Produkte in einem Drittweltland über Zwangsarbeit oder ausbeuterische Praktiken herstellen lässt, kann es in der EU haftbar gemacht werden. Und das selbst, wenn nur ein Zulieferer für die Grundrechtsverletzungen verantwortlich ist. Weiter sollen Firmen sicherstellen, dass ihre Tätigkeit nicht dem Klima schadet und dem Pariser-Klimaziel folgt.

Über 500’000 Antworten habe man aus der Bevölkerung auf die öffentliche Vernehmlassung erhalten, so EU-Justizkommissar Didier Reynders. Ein ausserordentlich hohes Interesse, das zeige, wie wichtig das Thema der Nachhaltigkeit den europäischen Bürgerinnen und Bürgern sei.

Betroffen sein sollen Unternehmen ab 500 Mitarbeitern und einem Umsatz von 150 Millionen Euro. Bei Unternehmen, welche in Hochrisikobranchen wie der Textilwirtschaft oder der Rohstoffindustrie tätig sind, sollen die neuen Regeln schon ab 250 Angestellten und 40 Millionen Umsatz gelten. Insgesamt dürften knapp 13’000 Firmen in Europa betroffen sein, schätzt die EU-Kommission.

Für die Durchsetzung sind die Mitgliedsstaaten verantwortlich. Sie müssen eine Aufsichtsbehörde einrichten, welche auch die Kompetenz haben soll, Bussen auszusprechen.

Drittstaatenregel betrifft auch Schweizer Unternehmen

Für die Schweiz wichtig: Das neue Lieferkettengesetz betrifft nicht nur Unternehmen mit Sitz in der EU, sondern auch Firmen aus Drittstaaten, sofern sie auf dem europäischen Binnenmarkt die genannten Umsatzzahlen von 150 Millionen Euro oder 40 Millionen Euro erreichen. Die EU-Kommission schätzt, dass insgesamt rund 4000 Nicht-EU-Unternehmen betroffen sein würden. Den Vorwurf, die EU würde Gesetze mit Wirkung ausserhalb ihres Territorium erlassen, weist Justizkommissar Reynders zurück: «Es geht lediglich darum, dass in der EU nur Unternehmen aktiv sind, die die Menschenrechte schützen und die die Umwelt nicht schädigen»

KVI-Initianten wollen Netzwerk reaktivieren und Petition starten

Die Initianten der Schweizer Konzernverantwortungsinitiative sehen sich durch die Ankündigung des EU-Gesetzes bestärkt. Sie wollen ihr breites Freiwilligennetzwerk reaktivieren und im Sommer eine Petition lancieren, um den Bundesrat zum Handeln aufzufordern. Immerhin falle das Hauptargument der KVI-Gegner jetzt weg, nämlich dass die Regeln zuerst international abgestimmt sein müssten: «Wenn der Bundesrat das wirklich ernst gemeint hat, muss er jetzt handeln und wie die EU ein richtiges Konzernverantwortungsgesetz vorlegen», so Dick Marty, Vorstandsmitglied der Koalition für Konzernverantwortung in einer Medienmitteilung.

Bis das neue EU-Gesetz aber wirklich vorliegt, wird es noch dauern. Zwei Jahre lang hat die EU-Kommission intern über die Details gestritten. Zweimal wurde sie sogar vom eigenen Rechtsausschuss ausgebremst. Nun geht es ins Gezerre zwischen EU-Parlament und den EU-Mitgliedsstaaten, wo es stark unterschiedliche Meinungen gibt und wo etliche Regierungen bereits ihre eigenen Regeln festgelegt haben oder daran sind, das zu tun.

In Brüssel rechnet man kaum damit, dass das Gesetz vor 2025 oder 2026 in Kraft treten könnte.