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Senior gerettet: Von dieser Zivilcourage eines 20-Jährigen wünscht man sich mehr
Vor den Augen der Zugpassagiere tun sich an einem Samstagabend im Februar die tiefsten Abgründe menschlicher Existenz auf. In einem Waggon der Appenzeller Bahn prügelt ein 31-jähriger Gewalttäter plötzlich auf einen 71-jährigen Mann ein.
Als dieser zu Boden geht, tritt der Täter dem zufällig ausgewählten Opfer gegen den Kopf. Doch dann geht ein 20-jähriger Mann dazwischen und wehrt den der Polizei bekannten Angreifer ab.
Zivilcourage nennt man das. Den anderen Zugpassagieren fehlte sie. Ein zwei Meter entfernter Mann starrt während der unglaublichen Attacke nur auf sein Smartphone und verlässt den Zug bei erster Gelegenheit. Auch andere ignorieren die Gewalttat, keiner kommt dem Retter zu Hilfe, der da alleine mit dem Attentäter steht. Der 20-jährige Musiker ist enttäuscht, schockiert und später wütend über die Untätigkeit der Mitfahrer und Mitfahrerinnen.
In einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen zu geraten droht, ist der junge Mann ein Lichtblick. In der Not macht er keine Risikoabwägung, jede Sekunde zählt, er will einfach helfen und rettet damit wohl ein Leben. In einer immer individueller agierenden Gesellschaft, in der zu viele das eigene Ich ins Zentrum stellen, ist dieser Retter ein Vorbild.
Krieg in Europa und im Nahen Osten, ein Präsident ausser Rand und Band in den USA, ein Multimilliardär, der einst mit Elektroautos die Welt retten wollte und nun mit einer Kettensäge den Staat zersägt. Man könnte verzweifeln. Was kann ich da schon ausrichten, fragen sich viele.
Man möchte ihnen zurufen, mehr, als ihr denkt. Man sollte sich den 20-jährigen Helfer zum Vorbild nehmen und Zivilcourage zeigen. Das muss nicht so spektakulär sein wie in seinem Fall, sondern wirkt auch im ganz kleinen Kreis. Dazu gehört: Bei Alltagsrassismus und nachgeplapperter Putin-Propaganda im Restaurant oder im Büro nicht zu schweigen.
Die hilft unserer Gesellschaft auch im Grossen und ist auch von Schweizer Politikern zu verlangen. Statt Appeasement und verstaubter Neutralität gegenüber dem Aggressor im Osten gilt es erst recht, Haltung zu zeigen. Wie der Musiker.