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Rassismus-Vorwurf wegen Wahlkampagne: Immunität von Ex-SVP-Boss Chiesa soll nicht aufgehoben werden

Wegen Kampagnensujets vor den letzten Wahlen wurden zwei SVP-Politiker wegen Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm angezeigt. In einem ersten Entscheid will die zuständige Kommission den früheren SVP-Präsidenten  Marco Chiesa vor Strafverfolgung schützen.

Die Immunität von SVP-Ständerat und Ex-Parteipräsident Marco Chiesa soll nach dem Willen der Rechtskommission des Ständerats nicht aufgehoben werden. Dies teilte die Kommission am Dienstag in einer Medienmitteilung mit. Als nächstes wird sich auch noch die Immunitätskommission des Nationalrats mit dem Fall befassen.

Die ständerätliche Rechtskommission hatte über einen Antrag der Staatsanwaltschaft Bern für die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Chiesa zu entscheiden. In den Augen der Berner Staatsanwaltschaft besteht ein «hinreichender Verdacht», dass Chiesa als Parteipräsident und Verantwortlicher für die SVP-Kampagne vor den Eidgenössischen Wahlen im Oktober 2023 gegen gegen die Antidiskriminierungsnorm verstossen haben könnte.

Das angestrebte Verfahren sollte sich mit der Kampagne unter dem Titel «Neue Normalität» befassen, mit der die SVP vor den Wahlen 2023 das Thema Ausländerkriminalität bewirtschaftete. In hoher Kadenz zitierte die Partei aus Medienberichten und Polizeimitteilungen über ausländische Tatverdächtige. Damit bewarb die SVP die eigenen Rezepte: Reduktion der Zuwanderung, Einschränkung des Asylrechts, Verschärfung von Strafrecht und Ausschaffungspraxis.

Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern war wegen Strafanzeigen des Eritreischen Medienbund und des Vereins «Linke PoC» (für: People of Color) aktiv geworden.

Ebenfalls ermitteln will die Staatsanwaltschaft gegen den früheren Nidwaldner SVP-Nationalrat Peter Keller, zum damaligen Zeitpunkt Generalsekretär der Partei. Über die Aufhebung von Kellers Immunität wird als erstes die Immunitätskommission des Nationalrats entscheiden.

Kommission nannte Kampagne «rassistisch» und «hetzerisch»

Die Strafanzeigen waren eingereicht worden, nachdem die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus die SVP in einem Brief dazu aufgeforderte hatte, die Kampagne zu stoppen.

Deren Sujets seien nicht nur «rassistisch und fremdenfeindlich, sondern sie sind hetzerisch und schüren bewusst negative Emotionen». Die Kampagne verzerre die Realität und ziele darauf ab, Angst und Ablehnung gegenüber ausländischen Personen zu erzeugen. Die SVP kam der Aufforderung nicht nach und warf der Kommission im Gegenzug vor, Zensur zu betreiben.

Wie alle gewählten Parlamentsmitglieder geniesst Marco Chiesa Immunität, welche die freie Meinungsäusserung in den Räten schützen und die Funktionsfähigkeit des Parlaments erhalten soll.

Die sogenannte absolute Immunität zum Schutz vor straf- und zivilrechtlicher Verfolgung gilt allerdings nur für Äusserungen im Parlament oder in Kommissionen. Bei «Handlungen im unmittelbaren Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit und Stellung» gilt lediglich die relative Immunität. Die beiden dafür zuständigen Kommissionen können diese relative Immunität auf Antrag hin aufheben und eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen.

Im Fall von Marco Chiesa sieht die Kommission einen inhaltichen Zusammenhang zwischen Chiesas Mandat im Parlament und seiner Parteifunktion und insbesondere der Organisation des Wahlkampfs. Mit 8 zu 2 Stimmen lehnte sie die Aufhebung der Immunität ab.Die Kommission verweist auf die herausragende Bedeutung von «freier Meinungsäusserung und -bildung sei im Rahmen des demokratischen Wahlkampfes» . Dies umfasse nach Ansicht der Kommission «auch potentiell polarisierende Aussagen».

Immunität hat meistens Bestand

In der Vergangenheit waren die zuständigen Kommissionen jeweils relativ zurückhaltend mit der Aufhebung der Immunität. So lehnten sie etwa ein entsprechendes Gesuch zur Strafverfolgung von Christa Markwalder (FDP/BE) im Zusammenhang mit der sogenannten Kasachstan-Affäre ab. Auch die Immunität von Walter Wobmann (SVP) hoben die Kommissionen nicht auf. Gegen Wobmann war wegen einer Werbeaktion für die Burka-Initiative Strafanzeige erhoben worden.

Der bislang einzige Fall, in dem sich die Kommissionen unter den seit 2011 geltenden Regeln für die Aufhebung der Immunität entschieden haben, betraf Christian Miesch (SVP/BL). Ihm war im Rahmen der Kasachstan-Affäre der Vorwurf gemacht worden, einem Lobbyisten im Gegenzug für genehme Vorstösse ein GA in Rechnung gestellt zu haben. Das Verfahren wurde eingestellt.

Was öfters vorkommt, ist dass die zuständigen Kommissionen gar nicht erst auf ein Gesuch zur Aufhebung der Immunität eintreten. Dies geschieht, dann, wenn bei der Handlung, für die sich eine Strafverfolgungsbehörde interessiert, kein unmittelbarer Zusammenhang mit der amtlichen Stellung und Tätigkeit besteht. In diesem Fall greift die relative Immunität nicht und es ist den Strafverfolgungsbehörden freigestellt, ein Verfahren einzuleiten. Dies war etwa bei Christoph Blocher (SVP/ZH), Pirmin Schwander (SVP/ZH) oder Fabian Molina (SP/ZH) der Fall.