Wegen Terminstreit: Regierungsrat eröffnet Disziplinarverfahren gegen Leitenden Oberstaatsanwalt
Der peinliche Justizstreit zwischen Staatsanwaltschaft und Obergericht hat personalrechtliche Konsequenzen: Im Sommer 2023 fehlte die Staatsanwaltschaft bei einer Verhandlung vor Obergericht, weil sie sich rundheraus weigerte, den anberaumten Termin wahrzunehmen. Vorangegangen war ein schriftlicher und telefonischer Streit, weil der Staatsanwaltschaft mehrere Termine des Obergerichts nicht gepasst hatten. Dieses setzte dann kurzerhand einen Termin fest und blieb dabei.
Weil die Staatsanwaltschaft vor Gericht nicht auftauchte und deshalb die Anschlussberufung dahinfiel, war für den Beschuldigten -ein Sri Lanker, der als 19-Jähriger eine Sexbeziehung mit einer 14-Jährigen gehabt hatte- eine härtere Strafe sowie ein Landesverweis vom Tisch. Auch verhängte das Gericht eine Ordnungsbusse von 1000 Franken gegen die schwänzende Staatsanwältin. Gegen diese Entscheide erhoben die Staatsanwaltschaft und die betroffene Staatsanwältin Beschwerde beim Bundesgericht.
Das Bundesgericht hob die Busse gegen die Staatsanwältin auf und sprach ihr eine Entschädigung von 3’000 Franken zu. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Abschreibung der Anschlussberufung wurde jedoch abgewiesen.
Der Regierungsrat hatte schon zuvor als Reaktion auf einen Vorstoss von SVP-Grossrätin Désirée Stutz geschrieben, er finde das Vorgehen der Staatsanwaltschaft «nicht angebracht». Und er stellte in Aussicht, nach dem Entscheid des Bundesgerichts eine Überprüfung vorzunehmen und bei Fehlverhalten entsprechende Massnahmen zu ergreifen.
«Nach Auswertung des Urteils entschied der Regierungsrat, ein Disziplinarverfahren gegen den Leitenden Oberstaatsanwalt einzuleiten», teilt der Regierungsrat jetzt mit. «Dabei soll geklärt werden, ob er seine Pflichten verletzt hat und ob Disziplinarmassnahmen notwendig sind.» Das Verfahren dient auch dazu, der betroffenen Person Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Philipp Umbricht hatte die Staatsanwältin «nach Eingang der nicht abgesprochenen Vorladung» des Obergerichts angewiesen, ihre «geplanten und bewilligten, jedoch vom Obergericht bei seiner Terminfestsetzung nicht berücksichtigten Ferien» zu beziehen.
Wie das Obergericht in seinem Urteil 2023 schrieb, habe sich «die Oberstaatsanwaltschaft» – vermutlich also Umbricht – veranlasst gesehen, der Gerichtsschreiberin des Obergerichts in einem «befremdend anmutenden Schreiben» mitzuteilen, «dass die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau in Kenntnis der gesetzlichen Folgen (sic!) der Verhandlung fernbleiben werde». Das komme einer «Aufforderung und Absegnung» gleich, sich «wissentlich und willentlich über die prozessualen Bestimmungen der Strafprozessordnung hinwegzusetzen, anstatt – wie dies das einschlägige Prozessrecht vorsieht – sich eines Rechtsmittels zu bedienen».
Gegen die weiteren beteiligten Personen, die betroffene Staatsanwältin sowie die Leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau, Barbara Loppacher, sieht der Regierungsrat «keine Notwendigkeit für personalrechtliche Schritte». Die Staatsanwältin habe ihre Vorgesetzten korrekt informiert, und die Leitende Staatsanwältin sei zwar über die Vorgänge im Bilde gewesen, aber aufgrund der direkten Involvierung des Leitenden Oberstaatsanwalts nicht zuständig gewesen.