Unabhängigkeit der Justiz gefährdet? Aargauer Oberrichterin unterschreibt umstrittene Deklaration gegen 2G-Pflicht
Kürzlich machte die AZ publik, dass die Aargauer Staatsanwältin Nicole Burger eine coronakritische Deklaration von 300 Schweizer Juristinnen und Juristen unterschrieben hat. In dem elfseitigen Manifest heisst es, die 2G-Zertifikationspflicht sei verfassungswidrig.
Umstritten ist die Deklaration, weil es darin unter anderem heisst, dass von Sars-CoV-2 seit dem Ausbruch der Pandemie «kein grösseres Risiko als dasjenige einer saisonalen Grippe» ausgehe.
Philipp Umbricht, Leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Aargau, sagte gegenüber der AZ, die Unterzeichnung der Deklaration durch Nicole Burger auch unter Funktionsnennung sei personalrechtlich unproblematisch. Doch damit ist die Diskussion um das Manifest, in dem die juristische Argumentation im engeren Sinn aber nur eine Seite umfasst, noch nicht vorbei.
SVP-Fraktionschefin: Richterin hat bewusst nicht als Privatperson unterschrieben
Denn neben Burger hat auch die Aargauer Oberrichterin Dinah Gössi (FDP) die Deklaration unterzeichnet. Gössi ist Präsidentin der 3. Kammer der versicherungsrechtlichen Abteilung «und hat das Dokument bewusst nicht als Privatperson, sondern in und mit ihrer Funktion als Oberrichterin unterzeichnet», schreibt SVP-Fraktionschefin Désirée Stutz in einem Vorstoss, den sie am Dienstag im Grossen Rat einreicht.
Vor diesem Hintergrund fragt Stutz, ob die Justizleitung gewusst habe, dass Oberrichterin Gössi diese Deklaration unterzeichnet hat. Sie will weiter wissen, ob es Richtlinien und Reglemente gebe, welche das Auftreten in der Öffentlichkeit mit Amt und Funktion regeln. «Falls ja: Ist diese Unterzeichnung der Deklaration regelkonform?», fragt die SVP-Fraktionschefin weiter.
Stutz stellt in Frage, «ob die Unterzeichnung dieser Deklaration mit der richterlichen Unabhängigkeit und dem Gebot der Zurückhaltung bei Auftritten und Äusserungen in der Öffentlichkeit vereinbar» sei. Und sie will wissen, wie die Justizleitung sicherstelle, «dass die Oberrichterin die geltenden Gesetze – namentlich auch durch die Corona-Gesetzgebung verbundene Leistungspflichten von Versicherungen – korrekt anwendet?»
Obergericht bot Ersatzrichter nach kritischen Äusserungen offenbar nicht mehr zu Einsätzen auf
Die SVP-Grossrätin zieht in ihrer Interpellation einen Vergleich zu Ersatzrichtern, die sich in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien als Privatperson – «also ohne ihre Funktion und ihr Amt zu erwähnen – kritisch zu Urteilen und Themen geäussert hatten». Diese seien vom Obergericht nicht mehr für Einsätze aufgeboten worden, weil ihre richterliche Unabhängigkeit nicht mehr gegeben sei sowie Akzeptanz und Glaubwürdigkeit des Gerichts bei Betroffenen schwinde, schreibt Stutz.
Désirée Stutz stellt gar in Frage, ob Dinah Gössi vor diesem Hintergrund noch wählbar sei. Sie will wissen, ob die Justizleitung die betreffende Oberrichterin noch zu den Gesamterneuerungswahlen vorschlagen werde. Richterin Gössi wollte sich auf Anfrage der AZ nicht zur Kritik von Grossrätin Stutz äussern. Sie verwies darauf, dass eine Interpellation hängig sei.