Aus den geplanten 2 Jahren wurden bisher 14: Ehemaliger Opernsänger reist als Backpacker durch die Welt
«Mit 15 Jahren sang ich im Kirchenchor Kaisten Mozarts Missa brevis in B-Dur. Heute, 45 Jahre später, singe ich sie wieder. Und es macht ungeheuer Spass», erzählt Richard Ackermann, während er im Café Oliv in Kaisten sitzt. In dem Haus, in dem er geboren ist und in dem seine Eltern ein Elektrogeschäft führten. «Von der Küche zum Laden waren es nur ein paar Schritte, Geschäft und Familienwohnung waren eng ineinander verwoben», erinnert sich der 59-Jährige. So, wie es in den 1960er-Jahren in vielen Familienbetrieben der Fall war.
Mit 14 Jahren wurde Ackermann Mitglied des Kirchenchors – und blieb es bis heute. Im Kirchenchor, auf der Empore, mit dem Blick auf die barocke Kirche lernte er die klassische Musik kennen. Musik, die ihn faszinierte, berührte, eine Welt eröffnete. Das Singen im Kirchenchor sollte der erste Schritt zum Beruf als Opernsänger sein.
Nach der Erstausbildung als Primarlehrer und nach zwei Jahren als Oberstufenlehrer studierte Ackermann Gesang am Konservatorium in Lausanne und hatte ein Ziel: «Opernsänger werden, auf den Bühnen der Welt stehen. Ich dachte, wenn ich das schaffe, bin ich der glücklichste Mensch der Welt.» Ackermann sang und hatte Erfolg. Nach ersten Auftritten am Stadttheater Biel wurde ihm eine Anstellung am Stadttheater Bern angeboten. Eine Stelle, von der viele Solosänger träumten.
Doch im Laufe der Jahre wurde aus dem Traumberuf Routine, und die Faszination der Bühne litt unter den manchmal unschönen Nebengeräuschen des täglichen Opernbetriebs. Ein Direktionswechsel am Theater Bern und die Finanzkrise nach der Jahrtausendwende, verbunden mit Sparmassnahmen bei allen Kulturstätten, taten das ihrige, dass Ackermann sich innerlich vom Beruf als Opernsänger entfernte.
Fulminanter Schlusspunkt seiner Zeit an der Oper
2011 beschloss er, eine Auszeit zu nehmen und zwei Jahre zu reisen. In Länder, die er noch nicht kannte. Zuerst Russland und diverse asiatische Länder. Ackermann verabschiedete sich schrittweise von der Oper, indem er seine Engagements noch erfüllte. Sein letzter Auftritt als Prinz Gremin in Tschaikowskys «Eugen Onegin» an der Opéra de Fribourg war in seiner Erinnerung zugleich sein bester.
Seither reist Ackermann um die Welt. Das Flugzeug benutzt er selten, er reist viel mit Schiff, Bus und Bahn, immer mit der Kamera im Gepäck. Er verbrachte Zeit in Tibet, Indien, Bangladesch, Kambodscha, Myanmar, Thailand und Indonesien, um nur einige Stationen zu nennen. Er reist so günstig wie möglich, übernachtet in Backpacker-Hotels, hat ein Minibudget für Essen und Übernachtung. Aus den ursprünglich vorgesehenen 2 Jahren wurden bisher 14 Jahre.
Reisebilder auf einem Blogspot
Seine Reise dokumentiert er auf dem Blogspot «Richard einmal rundherum». Hier listet er die Bilder, die er auf seinen Reisen macht, auf. Pro Reisetag macht er tausend Bilder und mehr, die er an einem Ruhetag ordnet, bearbeitet. Oft werde er gefragt, warum er das Leben als Sänger aufgegeben habe. Genau könne er es nicht erklären, aber: «Ich bereue keinen Moment, den ich auf der Bühne als Opernsänger erlebt habe, aber ich möchte nicht zurück.»
Heute hat die Fotografie für Ackermann eine ähnliche Bedeutung wie früher der Gesang. Die Kunstformen hätten Gemeinsamkeiten, beide brauchten eine Bühne. «Du machst Fotos, damit sie gesehen werden, und du stehst auf der Bühne, um gesehen zu werden.»
Wie lange Ackermann derzeit in der Schweiz bleibt, ist noch offen. Während er hier ist, nimmt er am Dorfleben teil. Es habe ihn sehr gefreut, dass der Kirchenchor Kaisten ihn für das Solo in der Weihnachtsmesse am 25. Dezember (9.30 bis 10.30 Uhr) angefragt habe.