Zu Besuch in der Spitalschule für kleine Patientinnen und Patienten: «Es entsteht eine gewisse Lagerstimmung»
Mitten im Raum steht ein Tisch mit Stühlen. In den Büchergestellen sind Schulbücher, Romane und Brettspiele verstaut. Es hat Kisten, gefüllt mit Legosteinen, und an der Türe hängt eine Weltkarte. Was auf den ersten Blick aussieht, wie ein ganz normales Schulzimmer, ist jenes des Kantonsspitals Aarau (KSA).
Die Wanduhr zeigt 8 Uhr. In einer Stunde beginnt der Unterricht. Rahel Usteri sitzt bereits an ihrem Pult und bereitet sich auf den Tag vor: «Bei der Morgenbesprechung mit dem Stationspersonal habe ich erfahren, wie viele Kinder auf den Stationen liegen, wie es ihnen geht und wer auf dem Zimmer bleiben muss.» Usteri ist seit zwölf Jahren Lehrerin an der KSA-Patientenschule. Zuvor unterrichtete sie lange an öffentlichen Schulen auf diversen Stufen und hat eine Ausbildung in der schulischen Heilpädagogik absolviert.
Die Mutter von drei Kindern teilt sich die Stelle am KSA mit Urs Baumann. Dieser führt den Unterricht an den ersten drei Wochentagen, Usteri dann am Donnerstag und Freitag. «Wir unterrichten Kinder bis zur 9. Klasse und unterstützen auch Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule, Fachmittelschule und Berufsschule», sagt die 49-Jährige. Für Kinder im Alter von drei Jahren bis fünf Jahren ist Vorschulpädagogin Nora Imbach zuständig.
Im Durchschnitt hat es drei bis fünf Kinder im KSA-Klassenzimmer. Die Patientenschule ist an die Kreisschule Aarau-Buchs angehängt. Die Kinder werden, ungeachtet ihres Alters, gemeinsam unterrichtet. Dabei entstehe eine gewisse Lagerstimmung, sagt Usteri und lächelt: «Die grösseren Kinder helfen den Kleineren bei ihrem Schulstoff, es bilden sich Freundschaften und sie tauschen ihre E-Mail-Adressen aus.»
Die Patientinnen und Patienten sollen den Schulanschluss nicht verpassen
Unterrichtet wird täglich, morgens und nachmittags. Ausser am Mittwochnachmittag, dann bekommen die Kinder oft Besuch von ihren Schulkameraden oder der Clown von der Theodora-Stiftung schaut vorbei. An den Wochenenden findet kein Unterricht statt. «Ist ein Kind nicht in der Lage, ins Schulzimmer zu kommen, dann unterrichten wir es im Patientenzimmer», sagt Usteri.
Die Unterrichtsdauer sei je nach Bedürfnis des Kindes verschieden und kein starres Angebot. «Die Lektion kann von zehn Minuten bis zu einer Stunde dauern – es ist wichtig, dass wir den Unterricht individuell gestalten und erkennen, was das Kind und auch die Familie brauchen. An oberster Stelle steht die Befindlichkeit des Kindes.»
Die Lehrpersonen besuchen die Kinder am ersten Tag ihres Spitalaufenthalts, stellen sich vor und «plaudern ein bisschen», beschreibt die Pädagogin den Ablauf. «Danach besprechen wir mit dem Kind, was in der Schule gerade ansteht und was es lernen sollte.» Das Schulmaterial erhalten die Kinder von ihren jeweiligen Klassenlehrerinnen beziehungsweise Klassenlehrern. Zudem stellt das Lehrpersonen-Team Material zur Verfügung und gestaltet Arbeitsblätter individuell auf die Schüler abgestimmt.
Das weitere Vorgehen variiere je nachdem, ob es sich um eine Langzeit-Patientin oder einen Kurzzeit-Patienten handle, sagt Usteri: «Liegt ein Kind ein, zwei Tage mit einem Armbruch im Spital, dann darf es auch mal einfach puzzeln oder ein Buch lesen. Bei krebskranken Kindern, die bis zu zehn Tage im Spital sind und dies mehrmals im Jahr, versuchen wir sicherzustellen, dass sie den Schulanschluss nicht verpassen. Sie schreiben dann je nachdem auch Prüfungen im Spital.»
Die Hauptangst bei Langzeit-Patientinnen und -Patienten sei anfangs, die Klassenverbundenheit zu verlieren, so Rahel Usteri. Deshalb werde darauf geachtet, dass die Kinder mit ihren Klassenkameraden in Kontakt bleiben, beispielsweise durch Zoom.
Es werden alle Fächer unterrichtet, inklusive Englisch und Französisch
Neben medizinisch indizierten Fixpunkten wie Physio- und Ergotherapie oder Ernährungsberatung gehört die Patientenschule zur Tagesstruktur im Kinderspital Aarau. Unterrichtet werden alle Fächer, inklusive Englisch und Französisch. Die Herausforderung für die Lehrperson sei, auf jedes Kind individuell einzugehen, betont Rahel Usteri: «Ich lasse die Kinder ihre Arbeitsblätter lösen und unterstütze sie bei Problemen. Anders als in der Regelschule sitze ich vis-à-vis der Kinder, kann mich direkt auf sie einlassen und ein Thema auch mal eingehender erklären – dabei entsteht eine sehr enge Beziehung.»
Ein Mädchen betritt mit einem Laptop unter dem Arm den Raum, als die AZ mit der Lehrerin spricht. Mit einem Lächeln begrüsst sie Rahel Usteri. Die Langzeit-Patientin hat heute ihren letzten Schultag vor ihrer Entlassung – sie erzählt: «In der ersten Woche war ich viermal und diese Woche dreimal hier. Ich kann mich im Schulzimmer besser konzentrieren als im Spitalzimmer.» Sie schreibt gerade ihre Abschlussarbeit: «Indem ich mit Frau Usteri meine Erkenntnisse bespreche, erhalte ich einen klareren Überblick über das Thema.»
Die Lehrerin und die 15-Jährige klären noch eine offene Frage – und dann verabschiedet sich die Schülerin mit einem herzlichen Dankeschön für die Unterstützung. Heute kommen keine weiteren Kinder ins Schulzimmer. Rahel Usteri nimmt einen Ordner zur Hand und macht sich auf den Weg zur Kinderstation.