Karfreitag, ein schräger Festtag?
Feiertage sind willkommene Pausen im Alltagsleben. Sie schenken den Menschen in der Arbeitswelt einen zusätzlichen freien Tag, allen, gross und klein, jung oder alt, einen Festtag. An ihm nimmt man sich Zeit für sich, die Familie, die Gesellschaft, für ein Fest. Der Karfreitag ist ein solcher Tag, aber ein aussergewöhnlicher – vielleicht ein schräger Festtag?
Stellen wir uns vor: Es gibt ein Fest zu feiern und keiner kommt! Am letzten Sonntag, dem Palmsonntag, feierten die Christen Jesu Einzug in Jerusalem. Damals jubelten Menschenmassen Jesus zu, als er in Jerusalem einzog. Das war ein Fest! Der Retter kommt! Gott sei Dank! Nun wird alles anders! Diese Erwartung schwappte Jesus entgegen. Auch unter den Jüngern Jesu gab es diese Erwartung. Nun würde sich Gott endlich mit aller Macht erweisen. Gottes Liebe würde alles Böse und alle Unterdrückung niederringen. Vielleicht würde dies durch die überwältigende Ausstrahlung Jesu geschehen oder das Heer der Heerscharen der Engel, das auf den Kriegsschauplatz der Welt auftritt, vielleicht würde das letzte Gericht anbrechen. Nun würde endlich das Werben für Gottes Liebe seinen Höhepunkt erfahren und das Warten ein Ende finden. Wenn jetzt jemand noch die Augen und Ohren verschlossen haben sollte, dann würde Gott diese Zeitgenossen mit einem heftigen Schlag auf den Tisch aufschrecken.
Das ist eine Erwartung, die gut zu verstehen ist. Der Krieg, die Gewalt, die Grausamkeiten, die Verkrüppelungen und das Sterben in der Ukraine, im Gazastreifen, in Haiti und andernorts lassen auch heute diesen Wunsch auf ein rettendes Eingreifen – wenn nötig mit Gewalt – laut werden; freilich je nachdem, aus welchem Sichtwinkel die Probleme gesehen werden mit unterschiedlicher Stossrichtung und Zielsetzung.
Am Karfreitag – diesem besonderen Feiertag – sind damals zwei Dinge nicht eingetreten: Gottes Heerscharen bezwangen nicht mit aller Macht die gebrochene Welt und die Menschen feierten nicht das Ende der Gewalt und der Grausamkeit.
Vor dem Kreuz gab es nichts mehr zu feiern und zu jubeln. Verzweiflung und Resignation machten sich breit. Der Jünger namens Judas will als einer der Ersten aus der vergeblich ein-gesetzten Zeit seines Lebens wenigstens etwas Geld herausschlagen. Jesus weiss es, sagt es den Jüngern ins Gesicht und tut nichts. Doch er betet später zum Vater um einen liebevolleren Weg für diesen Tag.
Bei der Verhaftung Jesu zieht Petrus sein Schwert und will Jesus verteidigen und verletzt einen Soldaten. Jesus wert sich nicht. Er gebietet der Gewalt des Petrus Einhalt und heilt den verletzten Soldaten der Tempelwache. Er lässt sich ohne Widerstand festnehmen. In seiner Verurteilung und Kreuzigung folgen Schmerz und Schmähungen. Das Ergebnis ist Jesu Kreuzigung und sein Tod. Auch jetzt kommen keine Heerscharen vom Himmel. Was bleibt, sind ein paar getreue Frauen unter dem Kreuz und das Wort eines Hauptmanns, der recht unvermittelt sagt: Wahrlich, dieser ist wirklich Gottes Sohn gewesen (Matthäus-Evangelium 27, 54).
Wie kommt er darauf? Nach dem biblischen Bericht geschieht einiges, ein Erdbeben erschüttert die Welt, den Vorhang im Tempel zerreisst es. Aber ein Erbeben war nicht so selten, als dass es zu einem Umdenken gereicht hätte. Jesus war auch nicht der Einzige, der an diesem Tag gekreuzigt wurde. Im Nachhinein lässt das Zeugnis der Bibel alle, die sie lesen, wissen: Jesus ist am Ostersonntag auferstanden. Es tut sich doch etwas. Gott stirbt mit unserem Empfinden von Schmerz und erleidet den irdischen Tod.
Was sich ändert: Gott bleibt sich und uns in der Liebe zu den Menschen treu! Er schlägt nicht mit aller Macht hinein und stellt die Liebe hintenan, weil es eben jetzt nicht anders geht. Gott wird angesichts irdischer Ungerechtigkeit und Härte nicht selbst hart und lieblos. Er bleibt seinem Weg der Liebe treu, erleidet Schmerz und stirbt den Tod. Das war so gar nicht irdisch und so gar nicht göttlich – in menschlichen Augen. Dem Hauptmann und Befehlshabenden der Wache wird dieser Unterschied als Erstem bewusst, denn er hätte bei Widerstand aus der Bevölkerung befehlen und eingreifen müssen. Dass Gott einen anderen Weg geht und ihn durchhält, ist neu.
Der Ostersonntag und die Auferstehung unterstreichen das. Gott bleibt seinem Weg nicht nur treu und geht ihn zu Ende, um dann zu dem Urteil zu kommen: Die Menschen haben Liebe nicht verdient – zumindest nicht meine. Nein, er fängt mit den gebrochenen, zweifelnden, verzweifelten oder untreuen Menschen neu an. In seiner Liebe wendet er sich aufs Neue den Menschen zu und verkündet: Diese Liebe will zu allen Menschen gelangen, sie will die Welt verändern und das Reich Gottes aufbauen. Keine Macht der Welt kann die Angesprochenen von dieser Liebe trennen, wenn sie ergriffen wird. Dies gilt auch, wenn die Welt im Wandel noch so manche Härte, Ungerechtigkeit und sogar Kriege uns und der Liebe entgegenstellt. Wenn sich etwas ändern soll, dann durch Liebe. Jede andere Massnahme, jedes berechnete Eingreifen oder Rechtsverfahren würde Gottes Liebe unserer gebrochenen Menschlichkeit nur angleichen und wäre eine Niederlage.
So richtet der Karfreitag den Blick auf die Menschen, die unter Schmerzen, Leid, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Anfeindung, Abwertung oder gesellschaftlichem Tod leiden. Sie sollen nicht vergessen werden und nicht vergessen bleiben. Der Karfreitag schreit nach dem Licht an ihrem Horizont. Er antwortet auch allen, die fragen: Was kann ich schon tun?, und sagt: Bring Liebe, ihre Wärme, ihr Licht, ihre verändernde Kraft und Vergebung in deine Welt. Schaff die Möglichkeit zu einem Neuanfang, auch wenn es schmerzt und einer deiner irdischen Werte dabei stirbt. Dann gibt es wieder Grund zu feiern und dann ist Gottes Treue, die wir an Ostern verkünden, die verändernde Kraft der Welt. Das Besondere ist, sie kann überall einen Anfang nehmen, wie verborgen oder wie klein er auch sein mag. Dieser Anfang bringt uns einen Schritt weiter vom dunklen Karfreitag zum Licht des neuen Lebens am Ostersonntag. Für Christinnen und Christen wird dann erlebbar, Jesus Christus ist Retter und ist nicht nur wahrlich Gottes Sohn gewesen, sondern ist mitten unter uns als der Auferstandene, der nicht mehr nur Opfer unserer menschlichen Fehler wurde, sondern Zeichen für Gottes Liebe, die sich nicht abwendet oder erlischt – aber eben auch nicht einfach und menschlich dreinschlägt.
Dieses Licht wünsche ich allen Leserinnen und Lesern, woher sie kommen, wohin sie ihr Weg führt, wie sie sich und ihr Leben definieren. Das Licht und die Liebe möge jedes ihrer Leben dauerhaft erhellen.