Stirbt die Karikatur aus? Dieser Zeichner hat eine ernsthafte Antwort
Das Cartoonmuseum Basel ist klein, zumindest von aussen betrachtet und erst recht, wenn man es auf dem Fussweg erreicht. Dieser führt am Kunstmuseum vorbei, das riesige Schatten wirft. Im Innern des kleinen Bijous aber eröffnet sich eine reichhaltige Welt.
Zurzeit feiert das Museum den Karikaturisten Gerhard Glück – aus Anlass von dessen 80. Geburtstag (und ein bisschen auch zum 45-jährigen Bestehen des Museums). Die Ausstellung zeigt Bilder aus vier Jahrzehnten, in denen Glück die Absurditäten des Lebens und der Gesellschaft auf den Punkt bringt. Der Deutsche prägte eine goldene Ära der Karikatur.
Anette Gehrig, die Direktorin und Kuratorin, sorgt sich um die Zukunft der Karikatur, die unter der Krise der Presse leidet. Die «Badische Zeitung» und die «Basler Zeitung» hätten ihre Kulturteile abgebaut, sagt sie. Ein verheerendes Signal setzte 2019 die «New York Times», als sie Karikaturen aus ihren Seiten verbannte – weniger aus Spargründen als aus Angst, politisch anzuecken und Abonnenten zu verlieren.
Am Mittwoch lud Gehrig einen der profiliertesten Karikaturisten der Schweiz zum Gespräch unter dem Titel: «Überlebt die Karikatur?» Silvan Wegmann zeichnet hauptsächlich für CH Media, seine Zeichnungen erscheinen also regelmässig in diesen Spalten. Wegmann stellte zu seinem Berufsstand fest: «Wir werden tatsächlich immer weniger.» Doch je länger das Gespräch dauerte, umso optimistischer wurde es.
Wegmanns Weg war so nicht vorgezeichnet. Der heute 54-Jährige arbeitete anfänglich als Zolltechniker am Badischen Bahnhof in Basel. «Aber die Bürokratie ging mir schnell auf den Kicker», erzählte der Aargauer, der schon als Schüler entdeckt hatte, dass er – zum Beispiel – die Lehrer so malen konnte, dass alle lachen mussten. Wegmann begann, den «Nebelspalter» zu lesen. «Man kann den Beruf des Karikaturisten nicht lernen, das geschieht durchs Schauen und Machen.»
Premiere 1996 auf der Frontseite
Aus dem Hobby- wurde ein Berufszeichner. 1996, als der französische Präsident Mitterrand starb, schickte Wegmann unaufgefordert eine Karikatur ans «Badener Tagblatt». Am nächsten Tag wurde sie, zusammen mit einem Leitartikel, auf der Frontseite abgedruckt. Seitdem prägt Wegmann die Schweizer Karikaturistenszene, die er auch immer wieder zu Anlässen versammelt – etwa zur alljährlichen Ausstellung im Museum für Kommunikation in Bern, wo die Karikaturen des Jahres gezeigt werden.
Wegmann schmerzt es, dass der wirtschaftliche Druck in der Presselandschaft die Karikaturen seltener werden lässt. Er selber sei noch privilegiert, sagte er auf eine Frage Anette Gehrig. Sein erster Arbeitgeber sei immer noch sein aktueller, bediene inzwischen aber mehr Zeitungen. Er habe genug Aufträge. «Und ich habe viele Freiheiten, man lässt mir grossen Spielraum. Nur sehr selten, wenn es allzu heiss wird, pfeift mich die Redaktion zurück.»
Die Leserschaft sei hingegen empfindlicher als noch vor zehn Jahren. Er habe mehr Reaktionen, und oft seien die Meinungen 50:50 geteilt. «Vor allem bei polarisierenden Themen wie der US-Wahl und Donald Trump.» Zeichnen sei anspruchsvoller und damit auch spannender geworden.
Das erklärt er sich mit der Digitalisierung. Die Leserinnen und Leser seien oft sehr gut informiert und hätten den Anspruch, dass satirische Aussagen präzise und stimmig sein müssten. «Wir müssen uns heute genauer informieren und quasi mit dem Skalpell arbeiten – und das ist gut so.»
Ätzend und nicht immer lustig
Wenn eine Karikatur diese Präzision aufweise und inhaltlich ins Schwarze treffe, dann – und nur dann – gelte das Bonmot von Tucholsky immer noch. «Satire darf alles.» Dann seien Grenzen weit hinaus verschiebbar. Museumsdirektorin Gehrig wollte wissen, ob ein Cartoon, wenn er stimmig sei, auch verletzen dürfe. Das sollte nie die Absicht sein, antwortete Wegmann. «Was aber verletzend ist und was nicht, liegt oft im Auge des Betrachters.» Ätzend dürfe eine satirische Darstellung aber auf jeden Fall sein, obschon sie dann womöglich keinen Lacher auslöse.
Womit wir wieder bei Gerhard Glück wären. Seine skurrilen Gemälde brillierten mit schwarzem Humor, der an die Komikertruppe Monty Python oder die Bilder des US-amerikanischen Cartoonisten Gary Larson erinnere,schrieb die bz jüngst, und Glück selbst sagte zu dieser Feststellung; «Das ist das Leben.»
Sind die goldenen Zeiten vorbei? Wegmann gehört nicht zu den Kulturpessimisten. «Ich habe mich früher bei Monty Python kaputtgelacht, und meine Mutter schüttelte nur den Kopf: Was soll daran lustig sein?», habe sie ihn gefragt. Heute würde seine 20-jährige Tochter über Memes auf Social Media lachen, und er schüttle den Kopf. «Es gibt immer neue Formen, die jungen Leuten den Zugang zu Satire verschaffen.»