Walliser Behörden starten Untersuchung wegen Missbrauchsvorwürfen – So reagiert die Abtei Saint-Maurice
Den Anfang machte ein Bericht im Westschweizer Fernsehen. Darin deckte RTS mehrere Fälle von sexuellen Übergriffen auf in der jüngsten Geschichte der 1500 Jahre alten Abtei Saint-Maurice im Kanton Wallis. Nota bene einem der ältesten Kloster des Abendlandes.
Nicht einmal eine Woche später sind bereits die Walliser Strafbehörden aktiv geworden. Wie die Kantonspolizei am Donnerstag mitteilt, haben der Generalstaatsanwalt und Inspektoren der Polizei die Abtei besucht. Dies im Rahmen einer Voruntersuchung, wie es weiter heisst.
«Freiwillig» Zugriff auf Akten gewährt
Ziel sei es, «mögliche Straftaten im Wallis zu untersuchen, die nicht verjährt oder bereits behandelt worden sind». Dies im Rahmen des im vergangenen Herbst publizierten Berichts zum Pilotprojekt zur Geschichte des sexuellen Missbrauchs im Umfeld der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz.
Praktisch zeitgleich teilte das kantonale Bildungsdepartement am Donnerstag in einer eigenen Medienmitteilung mit, dass sich der Rektor des Kollegiums der Abtei von St-Maurice vorübergehend von seinem Posten zurückzieht. Dies mindestens so lang, als dass die Walliser Justiz im Rahmen der mutmasslichen sexuellen Missbräuche Untersuchungen durchführe.
Rektor gibt Posten vorübergehend ab
Der Rektor sehe sich zwar nicht direkt persönlich in Frage gestellt durch die jüngst von Medien aufgedeckten Fälle möglichen sexuellen Missbrauchs. Damit die Einrichtung «ihre Bildungsaufgaben mit grösstmöglicher Ruhe fortsetzen» könne, übergebe er die Leitung der Institution vorübergehend an Francis Hiroz. Dieser ist derzeit als Schulleiter und Lehrer an der Schule tätig.
Der Kanton begrüsst den vorübergehenden Rücktritt des Rektors des Kollegiums der Abtei St-Maurice. Zudem ruft er in der Mitteilung in Erinnerung, dass er bereits nach Bekanntwerden der RTS-Recherche eine Arbeitsgruppe beauftragt habe, welche die Beziehungen zwischen dem Kanton und der Abtei analysieren soll.
Das Walliser Bildungsdepartement hatte damals zudem die sofortige Suspendierung des amtierenden Abtes gefordert. Dieser unterrichtet auch am Kollegium der Abtei.
Im Zuge der nun gestarteten Ermittlungen hätten sich der Generalstaatsanwalt und Vertreter der Walliser Kantonspolizei am Mittwochabend und Donnerstagmorgen in die Abtei von St-Maurice begeben. «Auf freiwilliger Basis» habe der Archivar der Abtei den Strafuntersuchungsbehörden dabei «Zugang zu den Archiven» gewährt.
Interimsabt zieht sich zurück
Auch ein Kanoniker sei angehört worden, schreibt die Kantonspolizei weiter. Zudem erinnert sie in der Mitteilung vom Donnerstag daran, «dass für die beschuldigten Personen während des Vorverfahrens die Unschuldsvermutung gilt».
Eine Personalie löste aufgrund des RTS-Beitrags allerdings grossen Wirbel aus: So soll der seit September interimistische Leiter der Abtei, Roland Jacquenoud, in den Missbrauchsskandal verwickelt sein. Ihm wird vorgeworfen, 2003 einen untergebenen Novizen zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben.
Antoine Salin, der seit 38 Jahren a als Chorherr in der Abtei St. Maurice lebt, und während Jahrzehnten in der dortigen Schule als Lehrer wirkte, übernahm am Donnerstag eine neue Aufgabe. Bei der um 15 Uhr anberaumten Medienkonferenz entschuldigte sich der 65-jährige Kleriker im Namen der Abtei für das Verhalten bestimmter Chorherren und bat die Opfer um Entschuldigung.
Salina sagte, einige der Fälle hätten sich vor mehr als 60 Jahren ereignet, einige Beschuldigte seien verstorben. Zu den meisten von RTS dokumentierten mutmasslichen Übergriffen kam es zwischen 1995 und 2005.
Die Abteil hat sodann den Vatikan gebeten, vorübergehend einen externen Leiter zu installieren. Die Chorherren sind zurzeit führungslos. Im September legte Abt Jean Scarcella sein Amt aufs Eis, weil gegen ihn Ermittlungen laufen.
Auch Interimsabt Roland Jaquenoud hat sich zurückgezogen. Er wurde kirchenrechtlich verurteilt, weil er 2003 einvernehmliche homosexuelle Handlungen mit einem Novizen vollzog, wie die Abtei mitteilte. Gestern wurde er in dieser Angelegenheit auch von der Polizei befragt. Es habe kein System der Vertuschung gegeben, versicherte Salina. Er sagte auch, die Eltern der Schülerinnen und Schüler könnten beruhigt sein.
In einer ersten Reaktion teilte die Abtei Saint-Maurice RTS mit, von den neun beschuldigten Kirchenmännern würde noch ein Fall untersucht und drei weitere seien in den letzten 20 Jahren abgeschlossen worden. Zudem seien fünf der beschuldigten Chorherren seit mehr als 15 Jahren verstorben.