Plünderungen, Chaos und Zerstörung bei Protesten in Nairobi
Nach friedlichen Protesten explodierten am Dienstag Wut und Gewalt: Hunderte Demonstranten stürmten am Nachmittag in der kenianischen Hauptstadt Nairobi das Parlament. Teile des Gebäudes wurden in Brand gesetzt, Möbel zerstört, während Abgeordnete Medienberichten zufolge durch Kellergänge aus dem Gebäude flüchteten. Fernsehbilder zeigten niedergedrückte Zäune.
Am späten Nachmittag wurde in Nairobi auch die City Hall, das Gebäude der Regionalregierung, in Brand gesetzt und teilweise geplündert, wie Fernsehbilder zeigten. Aus anderen Landesteilen wurde ebenfalls über Plünderungen und brennende Fahrzeuge, aber auch friedliche Demonstrationen berichtet.
Der kenianische Präsident William Ruto machte am Abend in einer Fernsehansprache «organisierte Kriminelle» für die Erstürmung des Parlaments verantwortlich. Legitime Proteste seien infiltriert und unterwandert worden, sagte Ruto. «Kenia hat heute einen Angriff auf die Demokratie und Gesetzesherrschaft erlebt.»
«Die heutigen Ereignisse sind ein Wendepunkt, wie wir auf schwere Bedrohungen unserer nationalen Sicherheit reagieren», betonte Ruto. Die Regierung habe alle ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen mobilisiert, um sicherzustellen, dass sich die Vorfälle nicht wiederholten.
Am Abend hatte Verteidigungsminister Aden Duale bereits angekündigt, das Militär werde zur Unterstützung der Polizei eingesetzt.
Kirchen und Wirtschaftsvertreter gegen Gesetz
Im Parlament stand am Dienstag ein heftig umstrittenes Steuergesetzes zur Abstimmung. Viele Menschen befürchten, dass durch das Gesetz die Lebenshaltungskosten weiter steigen. Auch Kirchen und Wirtschaftsvertreter haben sich gegen das Gesetz ausgesprochen.
Nach Angaben der kenianischen Menschenrechtskommission wurde ein Demonstrant tödlich getroffen, als die Polizei vor dem Parlament Schüsse abgab. Mindestens drei Menschen erlitten demnach Schussverletzungen. Menschenrechtsgruppen bestätigten einen weiteren Toten. Nach nicht bestätigten Berichten könnte die Zahl der Getöteten noch deutlich höher sein. Teilnehmer der Proteste berichteten in sozialen Medien von acht bis zehn Toten, offizielle Zahlen gab es dazu nicht. Auch Ruto sprach in seiner Ansprache nur vom Verlust von Menschenleben.
Krankenhäuser und ärztliche Organisationen berichteten über zahlreiche Verletzte, konnten aber keine Gesamtzahlen nennen. Fernsehbilder zeigten die Ankunft zahlreicher Rettungsfahrzeuge im Kenyatta-Hospital, dem grössten Krankenhaus Nairobis. Nach Angaben der Klinik vom Abend wurden 125 Verletzte stationär behandelt.
Hartes Vorgehen gegen Demonstranten
Die Proteste hatten am Morgen friedlich begonnen. Wie bereits in der vergangenen Woche ging die Polizei, die die Strassen rund um das Parlamentsgebäude weiträumig abgesperrt hatte, hart gegen Demonstranten vor. Sie setzte neben Tränengas und Wasserwerfern auch scharfe Munition ein. Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben das Vorgehen der Sicherheitskräfte mehrfach scharf kritisiert. Auch Journalisten und Rechtsanwälte wurden bei ihrer Arbeit angegriffen und behindert.
Kenianische Medienunternehmen berichteten am Nachmittag, ihnen sei von Regierungsstellungen mit Schliessungen wegen der Berichterstattung über die Proteste gedroht worden.
Die Protestbewegung, die sich in den vergangenen zwei Wochen gebildet hatte, ist vor allem durch junge Menschen geprägt, die sich über soziale Medien organisierten. In Kenia herrscht eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Auch viele gut ausgebildete College- oder Universitätsabsolventen finden keine Arbeit.
Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren hat Präsident Ruto eine Reihe neuer Steuern eingeführt, um die angespannte Finanzsituation des ostafrikanischen Landes zu verbessern. Angesichts der nun geplanten weiteren Steuerbelastungen befürchten viele Kenianer eine kaum mehr zu bewältigende Steigerung ihrer Lebenshaltungskosten, während Unternehmer und Geschäftsleute deutliche Einbussen angesichts zurückgehender Kaufkraft erwarten. Die Vertreter der katholischen Bischofskonferenz forderten Ruto am Dienstag auf, das Gesetz nicht zu unterzeichnen.(dpa)