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Alle zehn Teile von «Fast & Furious» hintereinander ansehen: Waruummmm tut man sich das an?

22 Jahre lange jagen die Autos in der «Fast & Furious»-Reihe bereits über die Strasse, nun kommt der neue Teil ins Kino. Schaut man alle Filme hintereinander, wird man zwar nicht wahnsinnig. Aber man lernt etwas über Familienbande und noch mehr über die Entwicklung des Blockbusters.

Die Bauteile scheinen übersichtlich: rasante, aufgemotzte Boliden. Ihre ebenso aufgemotzten Fahrer, Alpha-Typen mit Vollglatze, vielen Muskeln und wenigen Worten. Frauen, die oft noch weniger zu sagen haben. Abgefahrene Gadgets, die gestohlen werden müssen. Und Auto-Stunts, bei denen sämtliche Gesetze der Physik weinend mit der weissen Flagge wedeln. Willkommen bei «Fast & Furious», der inzwischen am längsten laufenden Filmreihe zum Thema: wie man in der Realität seinen Führerschein in unter drei Sekunden loswerden würde.

Startschuss

Nun ist der zehnte Teil «Fast X» in den Kinos angelaufen, der mir Gelegenheit bot, ein Versäumnis nachzuholen: Bis vergangene Woche habe ich als Gelegenheitslenker noch keinen Film der Reihe komplett gesehen. Nun alle zehn Teile auf einmal, plus das Spin-off «Hobbs & Shaw», das macht insgesamt rund 1370 Minuten oder 22 Stunden. Angenommen, die «Fast & Furious»-Autos donnern im Durchschnitt mit 250 Stundenkilometer dahin, ergäbe das eine fiktive Wegstrecke von 5500 Kilometern, die man in dieser Zeit zurücklegen könnte.

Etwa so lang fühlte sich auch mein Leidensweg an. Allerdings lernt man bei einem solchen Gewaltmarathon einiges: Über die bemerkenswerten Resultate von Lachgaseinspritzungen in den Motor etwa. Über Männerfreundschaften, die überm Kühlergrill zu Familienbanden geschmiedet werden. Oder über die Veränderungen in der Blockbusterlandschaft während zweier Jahrzehnte. Also los, aber Obacht Spoiler (nicht nur an den Wagen)!

Kilometerstand: 100

«Ich habe gerade einen richtigen Batzen Geld zusammengepackt, er ist auf dem Weg zu dir.» Der allererste gesprochene Satz beschreibt treffend den Werdegang der Reihe vom leicht unbeholfenen Parkplatz-Poserfilm mit einem Budget von weniger als 40 Millionen Dollar bis hin zum globalen Giga-Blockbuster heutiger Machart. Als «The Fast and the Furious» im März 2001 in die Kinos kam, standen die Türme des World Trade Centers noch, in den Charts liefen Limp Bizkit. Wenigstens an der Frisur von Hauptdarsteller Vin Diesel hat sich seither nichts geändert.

Der erste Teil ist näher an «Manta, Manta» als an «James Bond» und legte den Grundstein für alles, was die Reihe in Zukunft auszeichnen sollte: Zwei Männer auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes, der stoische Gangster Dominic Toretto (Vin Diesel) und der draufgängerische Cop Brian O’Conner (Paul Walker), werden von Rivalen auf der Strasse zu Kollegen und schliesslich zu Brüdern. Loyalität und Ehre bilden den Kern für das Wichtigste überhaupt: die Familie.

Näher an «Manta, Manta» als an «James Bond»: Im ersten Teil werden Vin Diesel (hinten) und der 2013 verstorbene Paul Walker von Rivalen zu Brüdern.
Imago

Gleich danach kommt die Getränkewahl: «Du darfst alles trinken, solange es ein Corona ist.» Das waren noch Zeiten, als eine Biermarke anstatt einer Pandemie alle gleichermassen verband. Die Waschlappen von der Polizei in Los Angeles ordern übrigens eiskalten, entkoffeinierten Cappuccino.

Kilometerstand: 987

Die Fortsetzung «2 Fast 2 Furious» startete ohne Vin Diesel, es mangelte an Sprit, sprich Gage. Nun muss sich Paul Walkers Brian in Miami alleine mit einem anderen Konkurrenten/Kumpel herumschlagen – und mit seiner Wirkung auf die Frauen. Alles Weitere wird durch eine Kaskade an Wettrennen gelöst, bei denen die Polizei regelmässig einen Schritt zu spät kommt. Was nicht rast, wird rasend gemacht.

Kilometerstand: 1200

Jetzt wird es in der Chronologie kurz einmal komplexer. Der dritte Teil «Tokyo Drift» spielt zwischen dem sechsten und dem siebten. Kann man sich sparen, weder Brian noch Dom (der nur in der obligatorischen Post-Credit-Szene) wirken mit, die Handlung ist dünn wie Schmirgelpapier. Launigster Spruch: «Der Tag, an dem ich meinen Führerschein bekam, war auch der Tag, an dem ich meinen ersten Strafzettel erhielt.»

Kilometerstand: 1921

Mit einem sogenannten Soft Reboot, also einer Mischung aus Remake und Neuanfang, wagt sich Teil 4 in den Süden des amerikanischen Kontinents. Toretto kapert immer noch oder schon wieder Trucks, Brian ist Cop. Doms Partnerin Letty (Michelle Rodríguez) stirbt – mehr zum Stichwort Tod später – «Wonder Woman» Gal Gadot hat ihren ersten Auftritt.

Visuell ist das gar nicht schlecht gealtert, die blauen Flaschen des NOS-Systems pumpen nach wie vor zuverlässig Lachgas für den Extra-Speed unter die Haube und auch fürs Drehbuch scheint mehr Budget drin gewesen zu sein. Immerhin hält es Sätze bereit wie: «Kennst du den Unterschied zwischen einem Polizisten und einem Kriminellen? Eine falsch getroffene Entscheidung.» Richtig philosophisch.

Kilometerstand: 3690

Seit dem soliden fünften Teil (2011) werden die Stunts immer absurder, die Technik immer krasser, die Familienbande immer enger. Die Autos stürzen aus Flugzeugen, hüpfen zwischen Hochhäusern umher, geleitet von einem Ortungssystem namens «Das Auge Gottes», das den Standort eines jeden Menschen enthüllen kann. Die ganze Welt wird zur Carrera-Bahn, bedient von Muskelbuben mit markigen Sprüchen und einem weichen Herzen hinter der harten Schale.

Ging es früher um lokale Gang-Rivalitäten, steht nun, analog zum Aufstieg der Superheldenfilme von Marvel und DC, nicht weniger als die regelmässige Rettung der Welt auf dem Spiel. Owen Shaw (Luke Evans), der mörderisch effiziente Bösewicht im sechsten Teil, brettert im Panzer durch den Beton, im neunten Teil verschlägt es die Crew sogar in den Orbit: Überwältigungskino.

Toretto nebst Familie arbeitet dabei wie Robin Hood, mit Power unter der Motorhaube statt Bogen: Wenn sie etwas stehlen, kann man sicher sein, dass die Bestohlenen weitaus mehr Dreck am Stecken haben als sie selbst. Das wirkt auf manche Gegenspieler so sympathisch, dass sich die meisten spätestens im nächsten Film der Crew um Dom anschliessen und zusammen mit ihnen das Gesetz in die eigenen Pranken nehmen; so wie Luke Hobbs (Dwayne «The Rock» Johnson) und Deckard Shaw (Jason Statham).

Kilometerstand: 4900

Der Instagram-Filter hat Einzug gehalten und die Rollen innerhalb der Gruppe haben sich etabliert. Zumindest beim Thema Frauen hat man mittlerweile ein bisschen die Kurve gekriegt. Nach dem Unfalltod des Schauspielers Paul Walker und seiner finalen Würdigung im siebten Teil sitzt seine Filmfigur ausserhalb des Geschehens daheim und passt auf die Kinder auf, während seine Frau Mia, die Schwester von Don (Jordana Brewster), bei der Action mitmischt.

Im achten Teil kommt schliesslich mit Cipher (Charlize Theron) eine Cyberterroristin ins Spiel, die mit gehackten, selbstfahrenden Autos eine grandiose Zerstörungsorgie entfesselt, ein Höhepunkt der ganzen Reihe.

Kilometerstand: 5500

Nun läuft «Fast X» im Kino, die Regie von Justin Lin hat Louis Leterrier übernommen, der es bei den «Transporter»-Filmen ordentlich hat krachen lassen. Falls man in der Zwischenzeit einen geistigen Boxenstopp hinsichtlich der Handlung eingelegt hat, kein Problem: In den ersten zwanzig Minuten werden die Ereignisse aus dem fünften Teil rekapituliert, denn da ist noch einer übrig geblieben, der sich an Dom Toretto rächen will. Jason Momoa spielt diesen aufgedrehten Springteufel als nervtötende Mischung aus Joker und Jack Sparrow.

Ein Action-Highlight ist eine Verfolgungsjagd durch Rom, bei der eine rollende Bombe die Ewige Stadt zu terminieren droht. Ansonsten setzt der Film den Trend seiner Vorgänger zur Überlänge (141 Minuten) fort. Es herrscht viel Leerlauf mit überflüssigen Prügeleien und pathetischen Reden. Am ärgsten ist jedoch, dass die Reihe bei der Action längst jeglichen Ansatz von Bodenhaftung verloren hat: Es besteht nicht der Hauch eines Risikos. Keine Sekunde müssen wir um irgendjemanden bangen, der mit Vollgas mit einer Wand kollidiert, denn selbst die vermeintlich Toten kehren regelmässig wieder zurück.

Kilometerstand: ∞

«Fast X» ist nur der Anfang des grossen Finales, das in zwei – bewahrheiten sich Interviewaussagen von Vin Diesel, sogar drei – Teilen «Fast & Furious» endgültig beenden soll. Was sollte auch noch kommen?

Die Reihe hat längst ihre eigene Formel Fast erfunden, die man wie eine erfolgreiche Serie unendlich weiterdrehen könnte. Sie ist ein eigenes Genre geworden, vereinigt Elemente aus Action, Komödie, Heist-Movie, Sportfilm, Agententhriller und Superheldenblockbuster. Fröhlich appelliert sie an die zwei niedrigsten aller schönen Gefühle: Sentimentalität und kindliche Ausgelassenheit. Doch ein unendliches Rennen führt nirgendwo hin und irgendwann hat sich der grösste Spass erschöpft.

«Das Leiden hat ein Ende. Zeit zu sterben», sagt der Bösewicht kurz vor dem finalen Cliffhanger. Hoffentlich meint er es ernst.