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Aargauer Landeskirchen haben im letzten Jahr fast 9000 Mitglieder verloren – und der Massenexodus geht weiter

Sowohl die katholische als auch die reformierte Kantonalkirche im Aargau beklagt einen fortlaufenden Mitgliederschwund. Die Zahlen sprechen für sich, eine Trendumkehr wird schwierig. Neue Finanzierungsmodelle müssen her.

Rund 202’000 Aargauerinnen und Aargauer gehören der römisch-katholischen Kirche an und entrichten dementsprechend Kirchensteuer. In den letzten zehn Jahren traten rund 36’000 Personen aus, wie die Kirche in einer Medienmitteilung schreibt. In derselben Zeit traten nur 1200 Menschen ein.

Der katholische Kirchenratspräsident Luc Humbel.

Die massenhaften Austritte hinterlassen immer grössere Lücken bei der Finanzierung verschiedener Projekte sowie bei den Hilfswerken. «Jeder Austritt führt zum Fehlen von Geld am eigenen Wohnort», erklärt Kirchenratspräsident Luc Humbel. Die Gelder würden indes nicht in den Vatikan fliessen, sondern würden hier Gutes für die Gesellschaft bewirken.

«Kirchensteuer sei Dank»

Um dies zu veranschaulichen, wurde unter anderem die Kampagne «Kirchensteuer sei Dank» durch die Kirchen der Kantone St. Gallen und Luzern gestartet, bei der die Aargauer Kantonalkirche seit Herbst 2021 ebenfalls mit dabei ist. Kern der Kampagne ist eine Website, die anschaulich machen soll, wohin die Einnahmen aus der Kirchensteuer fliessen.

So zum Beispiel zu katholischen Hilfswerken der Caritas, zu anderen Einrichtungen wie der Notschlafstelle Aargau oder zur spezialisierten Seelsorge in den Spitälern und in Umweltprojekte. «Noch sind wir in der Lage, unsere Aufgaben uneingeschränkt wahrnehmen zu können», sagt Luc Humbel.

Dunkle Wolken über beiden Landeskirchen

Das kann sich aber ändern. Denn auch 2021 traten – trotz der Transparenz-Kampagne – kantonsweit 5000 Menschen aus der katholischen Kirche aus. Die weltweiten Negativschlagzeilen würden die überwiegend solide, lokale Arbeit überlagern, heisst es in der Mitteilung.

Auch die Reformierte Kirche im Aargau, die andere grosse Landeskirche, verzeichnet 2021 weiterhin Austritte auf hohem Niveau, während die Zahl der Eintritte nochmals um 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückging.

3745 Menschen aus den 75 Kirchgemeinden haben der reformierten Kirche im Aargau den Rücken zugewandt – und das nur im Jahr 2021. Insgesamt also 106 mehr als noch 2020, als 3639 Personen austraten. Die Eintritte kompensierten im vergangenen Jahr derweil nur gerade 5,7 Prozent der Austritte.

Aufgrund der demografischen Entwicklung ist die Gesamtzahl der Mitglieder aber um 4513 zurückgegangen. Ende 2021 hatten die 75 Aargauer Kirchgemeinden insgesamt nur noch 148’684 Mitglieder. Damit wird zum ersten Mal die Marke von 150’000 Mitgliedern unterschritten.

Gründe für Exodus bleiben unklar

Die Verantwortlichen der beiden grossen Landeskirchen im Aargau sind sich über die Gründe für die massenhaften Austritte insgesamt im Unklaren. Ob die weltweiten Skandale der Grund sind, kann der katholische Kirchenratspräsident Humbel nicht sagen: «Die Austrittsgründe sind in der Regel nicht ersichtlich. Einzig in der Kirchgemeinde Gebenstorf-Turgi wurde der massive Anstieg der Austritte mit der Unzufriedenheit im Handeln der Kirchenpflege begründet.»

Bei den Reformierten heisst es, dass nur rund 10 Prozent der Austritte auch eine Begründung enthielten. Bei einigen Menschen habe die Zertifikatspflicht eine Rolle gespielt, die auch in der Kirche gegolten hat.

Frank Worbs, Leiter Kommunikation des reformierten Kirchenrats Aargau, sieht den Mitgliederschwund als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen an.

Frank Worbs, Leiter Kommunikation des reformierten Kirchenrats Aargau, sagt: «Es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Viele klassische Institutionen, so auch Vereine, verlieren Mitglieder.» Das Modell der festen, langjährigen Mitgliedschaft sei gerade auch bei jüngeren Menschen nicht mehr gefragt. Deshalb habe der Exodus wohl keinen «kirchenspezifischen Grund».

Für einzelne Projekte seien die Menschen aber sehr wohl zu begeistern, jedoch nicht für ein langfristiges Engagement. Wie kann eine Trendumkehr erreicht werden? Worbs sagt: «Die Austritte können nicht kompensiert werden. Aber die distanzierten Mitglieder müssen von den Kirchgemeinden bewusster angesprochen werden.» Auch müsse man andere Möglichkeiten für die Finanzierung in Betracht ziehen, auch über Menschen, die nicht Mitglied der Kirche sind.