Kaum Platz auf der Bühne: Acht Scala-Solisten, zwei Chöre und ein Orchester eröffnen das Festival mit Verdis «Aida»
Die Dimensionen der Alten Reithalle machen es möglich. Dieter Wagner, Kantor der Stadtkirche und Co-Leiter der Mendelssohntage, wagte zur Eröffnung des Festivals eine konzertante Aufführung von Verdis Oper «Aida». Dafür arbeitete er mit riesigem Doppelchor, acht Opern-Solisten von der Mailänder Scala, und einem Verdi-Orchester aus Italien.
Verdis «Aida» hat, auch wenn es vordergründig nicht so aussieht, durchaus auch religiöse Züge. Sie entstand 1870 als Auftragswerk zur Eröffnung des Suezkanals und spielt im Memphis und Theben zur Zeit der Herrschaft der Pharaonen. Es kommen in dieser Oper auch eine Priesterin und ein Oberpriester vor, und im Chor singen weitere Priester(innen). Kommt dazu, dass Giuseppe Verdi selbst dem «Kirchenstaat Italien» des damaligen Papstes Pius IX. gegenüber kritisch eingestellt war.
Die neunte Ausgabe der Mendelssohntage Aarau hat mit Felix Mendelssohn Bartholdy nicht viel zu tun. Sie steht unter dem Motto Tanz und lädt in der Stadtkirche zum Mittanzen ein. Da gibt es etwa eine Tango-Nacht (4. Nov.) und «Brazil und Bossa Nova»- Hits (2. Nov.). Und am Rüeblimärt (1. Nov.) kann man nicht nur den «Rüeblisound» mit Orgel und Saxofon hören, sondern auch am «Rüeblitanz» Schweizer Volkstänze mittanzen. Kantor Dieter Wagner lädt zum Mitsingen bei «Aarau singt!» ein (4. Nov.) und zum Festgottesdienst am Sonntag (5. Nov.). Auch das Schlussbouquet mit Glucks Opermend mit der Kantorei der Stadtkirche und dem Argovia Philharmonic steht unter seiner Leitung. (S.E)
Dennoch ist die «Aida» für einen Kantor wie Dieter Wagner und seine Chöre nicht gerade naheliegend. Er zog für diese Aufführung zwei seiner Chöre zusammen: seinen seit Jahren erfolgreichen «Sing mit»-Projektchor der Reformierten Kirchgemeinde Frick und den «Singkreis Wohlen b. Bern». Wie gerne diese Leute bei Dieter Wagner mitsingen, war an diesem Abend offensichtlich. So einen stattlichen und sehr engagiert auftretenden Chor erlebt man selten.
Acht Scala-Solisten in den Paraderollen
Kommt dazu, dass Dieter Wagner interessante Kontakte in alle Welt hat. Das «Orchestra Sinfonica Carlo Coccia di Novara» hat er auch schon für andere «italienische» Chorprojekte beigezogen, auch hat dieses Orchester die «Aida» im Repertoire. Dass es ihm aber zudem gelungen ist, Sängerinnen und Sänger der Mailänder Scala für sein «Aida»-Projekt zu gewinnen, ist schon beeindruckend.
Die Hauptrolle sang am Samstag die Sopranistin Natasa Kàtai mit inniger Hingabe und einer wunderbaren Pianokultur. Kàtai ist eine erfahrene Verdi- und Puccini-Sängerin, die Aida ist eine ihrer Paraderollen. Der Tenor Danilo Formaggia gab den Radàmes, der mit seiner Liebe zwischen Aida und der Königstochter Amneris schwankt und dabei seinen Staat verrät. Er verfügt über eine warm timbrierte Tenorstimme, die aber durchaus auch dem Dramatischen gewachsen ist. Dazu passte die grandiose Strahlkraft der Mezzosopranistin Daniela Pini ausgezeichnet, sie sang die Amneris packend und ausdrucksstark.
Die opulente Besetzung überzeugt
Mit so viel erfahrener «Italianità» im Boot konnte bei dieser «Aida» in der Alten Reithalle nicht mehr viel schiefgehen. Im Gegenteil. Dieter Wagner war spürbar inspiriert vom italienischen Temperament des Orchesters. Er hielt es aber gut im Zaum, das subtile Begleiten der Sänger liegt ihm. Aber auch die heftigen orchestralen Ausbrüche bereitete er gut vor, das Orchester wurde nie zu früh zu laut. Von besonderer Qualität waren die Holzbläser, die im Duett mit den Protagonisten ihre Partien mit innigem Ton «sangen».
Es zahlte sich aus, dass der Chor so gross besetzt war. Einmal mit Opernsängern zu singen, war für alle eine tolle Herausforderung. Es waren so viele, dass nicht alle auf der Bühne sitzen konnten, sie nahmen daneben Platz und stiegen zum Singen jeweils aufs Podest. Die Präsenz dieses Chores war bewundernswert, die Einsätze gelangen präzise. Und nicht nur die Klangkraft war für Verdi überraschend gut, der Chor artikulierte auch rhythmisch prägnant. Schade eigentlich, dass der Chor im zweiten Teil dieser Oper kaum mehr etwas zu singen hat.