Wo ist nur das ganze Orchester hin? Argovia Philharmonic liefert ein Familienkonzert mit Spass und Anspruch
Kinderkonzerte werden unterschätzt. Dabei sind sie etwas vom Anspruchsvollsten, das Musiker wagen können. Einerseits muss man sich mit einem gewissen Geräuschpegel abfinden. Auch neugierige und ermunternde Zwischenrufe gehören dazu. Die eigentliche Schwierigkeit, ja Fallgrube, ist jedoch der Spagat zwischen Klamauk und Klassik. Die Kluft zwischen «kindergerechter» Performance – was immer das auch sein mag – und «Gluschtigmachen» auf Opern und Sinfonien. Ein Eisfeld, auf welchem schon manch gut gemeinte Entdeckungsreise in hohem Bogen ausgerutscht ist.
Das Luzerner Theater spielte beispielsweise im letzten Jahr eine «Schneekönigin», wo man vor lauter Geschrei der Schauspieler – und mit der Zeit auch der gelangweilten Sprösslinge – den Text nur bruchstückhaft vernahm. Auf der anderen Seite nimmt die Oper Zürich – ein Garant für niveauvolles Kindertheater – das junge Publikum sehr ernst. Teilweise zu sehr.
In «Hänsel und Gretel» von Engelbert Humperdinck vor vier Jahren gab es neben Breakdancern viel Sozialkritik und in Lumpen gehüllte Hauptdarsteller. Dass die böse Hexe jedoch ein blutiger, mit der Motorsäge fuchtelnder Weihnachtsmann war, dürfte doch den einen oder anderen Knirps überfordert haben.
Perfekte Balance
Es ist eine Gratwanderung. Ein Balanceakt, der beim ersten Familienkonzert der Argovia Philharmonic im Künstlerhaus Boswil perfekt gelang. Die Alte Kirche ist proppenvoll. Auf dem Programm steht «Heute: Zauberflöte!». Ohne Bühnenbild, ohne Opernsänger und ohne Sinfonieorchester. Aber all das braucht es auch gar nicht. Zumindest hier.
Die zwölf Musikerinnen und Musiker entwerfen ein siebzigminütiges Theater aus Geigen, Celli, Trompete, Klarinette oder Perkussion, das keine Langweile kennt. Im positivsten Sinne. Der Kopf hinter dem Konzert ist das Duo Calva, respektive die beiden Cellisten Daniel Schaerer und Alain Schudel.
Nach wenigen Minuten stehen sie allein auf der Bühne. Alle Musiker haben noch irgendwelche anderen Termine. Also müssen sie «Die Zauberflöte» von Wolfgang Amadeus Mozart im Duett spielen. In der Folge ziehen die zwei einen amüsanten Kreis aus Klassik, Witz, Wissenswertem zur Oper und kleinen Sticheleien. Mit viel Charme und Geist umgesetzt. Da erklingen zum Beispiel «Variationen auf der G-Saite über ein Thema von Rossini» von Nicolò Paganini. Ein Schaulaufen mit Schabernack, wo jeder das virtuose Ende für sich beansprucht.
Königin der Nacht – schlaftrunken
Oder die Intonation der Königin der Nacht – «ist ja logisch, ist sie nicht da, sonst hiesse sie ja Tag-Königin» – wo die Flötistin Miriam Terragni schlaftrunken auf die Bühne torkelt. Nur, um den einen hohen Ton zu spielen.
Herrlich auch, wie das Publikum die Musiker auf die Bühne zurückklatscht und diese den Rhythmus gleich in eine wilde Version des «Fiddle Faddle» von Leroy Anderson umsetzen. Es ist eine Produktion, die das junge Publikum ernst nimmt, aber auch Musik und Witz für Erwachsene liefert. Zum Beispiel mit der Einstreuung fremder Stücke wie Verdis «Gefangenenchor» (Nabucco) in Mozarts Singspiel.