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Klima auf der Kippe: Was die 30’000 Teilnehmer in der ersten Woche erreicht haben – und was jetzt noch kommt

Wütende Proteste gegen haltlose Öko-Versprechen von Unternehmen («Greenwashing»), bemerkenswerte Initiativen zum Schutz von Regenwald und zur Vermeidung von Methan-Emissionen, inspirierende Auftritte von Politikern und Aktivisten – der UN-Klimagipfel COP26 in Glasgow hatte in der ersten Woche allerlei zu bieten. Was haben die Gespräche bislang erreicht? Woran mangelt es? Und worauf kommt es in der zweiten und entscheidenden Woche an?

1. Was sind die konkreten Ergebnisse der ersten COP26-Woche?

40 Nationen, darunter fünf der 20 grössten Kohle-Förderer und -Verbraucher, haben sich auf die Abschaffung des besonders schadstoffhaltigen Energieträgers geeinigt. 23 davon wollen in den nächsten Jahren ganz aus der Kohleindustrie aussteigen. Ungünstig allerdings ist: Die USA, einer der grössten CO2-Emittenten der Welt, gehört nicht dazu.

Mehr als 100 Länder haben sich darauf geeinigt, die Emission des Treibhausgases Methan bis 2030 um 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 zu senken. Methan gilt als einer der gefährlichsten Treiber des Klimawandels.

Eine ebenso grosse Zahl von Ländern verpflichtete sich zum energischen Kampf gegen die Abholzung der globalen Regenwälder, untermauert durch öffentliche und privaten Geldversprechen von insgesamt 17,4 Mrd Franken. Zu den Unterzeichnern gehören auch die Forst-Riesen Russland und Brasilien. Rund 85 Prozent der weltweiten Waldflächen sollen durch das Abkommen geschützt werden.

2. Kann das Pariser Klimaziel (maximal 1,5 Grad Erderwärmung) überhaupt noch erreicht werden?

Ganz unmöglich, glaubten viele Pessimisten vorab. Die UNO-Umweltagentur Unep rechnete vergangenen Monat die bis dahin veröffentlichten nationalen Pläne (abgekürzt NDCs) zusammen: Bis 2030 würden Klima-schädliche Emissionen lediglich um 7,5 Prozent zurückgehen. Das hätte eine katastrophale Erwärmung von geschätzt 2,7 Grad zur Folge.

Die erste COP-Woche brachte hingegen frischen Wind. Wenn alle neuen Versprechungen und Pläne umgesetzt werden, wird sich die Erderwärmung bei 1,8 Grad einpendeln, rechnet die Internationale Energieagentur IEA vor.

Experten verwiesen insbesondere auf das Versprechen des indischen Premiers Narendra Modi. Zwar stellte das Milliarden-Land die eigene Klimaneutralität erst für 2070 in Aussicht, zwanzig Jahre nach dem Wunschziel der Europäer.

Hat die Klima-Experten zuversichtlich gestimmt: das Versprechen des indischen Premiers Narendra Modi, hier auf einem Gruppenbild mit Gastgebern Boris Johnson.
Hat die Klima-Experten zuversichtlich gestimmt: das Versprechen des indischen Premiers Narendra Modi, hier auf einem Gruppenbild mit Gastgebern Boris Johnson.AP

Bereits bis 2030 aber will Midi die Hälfte des indischen Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen decken. Damit könnte Indien alleine rund eine Milliarde Tonnen Schadstoffe weniger ausstossen als bisher angenommen. Das würde die globale Belastung enorm verringern.

Karen Turner, Professorin für Energiepolitik an der Glasgower Strathclyde-Universität, sagt dazu:

«Wenn das gelingt, bleibt das Ziel von 1,5 Grad in Sicht.»

Zur Verwirklichung werde es vor allem darauf ankommen, ob die westlichen Industrieländer dem Schwellenland die nötige Finanzierung bereitstellen.

3. Sind die reichen Länder denn bereit, diese Pläne zu finanzieren?

Schon 2009 in Kopenhagen verpflichteten sich die Industrieländer zur Förderung von Klima-freundlichen Initiativen in Entwicklungsländern im Gesamtwert von 100 Milliarden Dollar. Das Versprechen haben sie nicht gehalten.

Was bis vergangenes Jahr gelingen sollte, steht jetzt für 2022, spätestens 2023 in Aussicht. Für vorbildhaft halten viele Experten die Vereinbarung, die europäische Staaten mit Südafrika getroffen haben: Mit grosszügigen Krediten wird der Umbau der dortigen Energiewirtschaft von Kohle zu Wind, Wasser und Sonne geför

4. Sind die Klimaaktivisten zufrieden mit der Konferenz?

Kein bisschen. Die schwedische Aktivistin Greta Thunberg zeigt sich enttäuscht von den bisherigen Verhandlungsergebnissen. An einer Demo in Glasgow, bei der am Samstag rund 100’000 Menschen durch den strömenden Regen liefen, rief sie:

«Was hier abläuft, ist ein riesiges PR-Event.»

Greta Thunberg ist gar nicht zufrieden mit den Verhandlungen in Glasgow.
Greta Thunberg ist gar nicht zufrieden mit den Verhandlungen in Glasgow.AP

Um ihre Lobbyisten in der «grünen Zone» vor Ort zu haben, zahlten Grosssponsoren wie Software-Riese Microsoft und Pharma-Gigant GSK, die Mischkonzerne Unilever und Reckitt sowie Energiefirmen Hitachi, Scottish Power und SSE je eine halbe Million Pfund (616’000 Franken) an die britischen Gastgeber. Ähnliche Beträge wurden für den Zugang zur «blauen Zone» fällig, jenes exterritoriale Gelände, das für die Dauer der Konferenz von der Uno verwaltet wird.

Die bitteren Klagen über das Greenwashing vieler Öl- und Gasfirmen – wohlklingende Versprechen ohne jede Substanz – nimmt die UNO zum Anlass, eine neue Expertenrunde einzuberufen. Sie soll die Klima-Versprechen nicht-staatlicher Akteure einer genauen Prüfung unterziehen und loses Gerede öffentlich anprangern.

5. Was darf man sich von der zweiten Konferenzwoche erhoffen?

Erwartet wird eine Initiative der Gastgeber für den Umbau der Automobil-Industrie: Der Elektro-Antrieb soll nicht nur wie bisher vor allem Autos vorbehalten sein. Vielmehr sollen sich Ingenieure weltweit darauf konzentrieren, so bald wie möglich auch 40-Tonner, kleinere Lastwagen und Landmaschinen mit Stromantrieb auszurüsten.

Die Delegationen dürften bis zuletzt um die Formulierungen des rund 200-seitigen Communiqués feilschen. Anders als bei früheren Konferenzen soll diesmal wirklich wie geplant am Freitag Schluss sein, hat COP26-Präsident Alok Sharma angekündigt.