Er blockierte an Pfingsten den Gotthard: «Es war schockierend»
Am Samstag des Pfingstwochenendes bildete sich vor dem Südeingang des Gotthardtunnels ein riesiger Stau, der bis zu 22 Kilometer lang war. In dieser Situation fand eine Aktion des Klimakollektivs Act Now! statt. Aktivisten setzten sich auf die Fahrbahn und blockierten sie so, bis die Polizei eintraf.
Der Protest dauerte nur etwa zehn Minuten, doch die Reaktion war sehr gewalttätig. Autofahrer griffen einige Aktivisten körperlich an, wie Videos belegen, die vor Ort gedreht wurden. Anthony Zufferey nahm an der Aktion teil. Der junge Westschweizer, der sich der Bewegung vor etwa einem Jahr angeschlossen hat, ist bereit, über seine Erfahrungen zu sprechen.
Du warst an rund 50 Klimaaktionen beteiligt. War diejenige vom Pfingstwochenende anders?
nAnthony Zufferey: Das war extrem schockierend. Ich habe an vielen Aktionen teilgenommen, aber ich habe noch nie eine so gewalttätige Reaktion erlebt. Ich wurde geschlagen und an den Strassenrand gezogen. Eine Aktivistin, die dort stand, wurde gewürgt. Einem anderen wurde sogar mit Entführung gedroht. Er wurde zu einem Lieferwagen gezerrt, jemand öffnete die Tür. Er hatte grosse Angst.
Einigen Mitgliedern der Bewegung, die vor Ort waren, geht es heute nicht gut. Die Bilder dieser Gewalt kommen ihnen immer wieder in den Sinn. Es ist extrem schwer, damit zu leben.
Was ist mit dir?
Ich glaube, dass ich diese Erfahrung im Vergleich zu anderen besser verarbeitet habe. Vielleicht, weil es nicht meine erste Aktion war, oder weil ich weniger Gewalt erlebt habe. Im Moment geht es mir gut, aber es war nicht leicht, damit umzugehen oder zu sehen, wie meine Freunde auf diese Weise misshandelt wurden.
Plant ihr weitere Schritte?
nWir überlegen derzeit, ob wir diese Personen anzeigen sollen, da es Bilder gibt. Eine solche Gewalt gegen gewaltlose Menschen ist völlig illegitim und entmenschlichend. Ausserdem steht sie im Gegensatz zur Legitimität unserer Aktion.
Habt ihr mit einer solchen Reaktion gerechnet?
Dies war das dritte Mal, dass wir eine Aktion vor dem Gotthard durchführten. Letztes Jahr, am Karfreitag, waren die Reaktionen ziemlich heftig, aber nicht so heftig wie am 18. Mai. Das zweite Mal, an Auffahrt, ging alles gut. Es kommt wirklich darauf an, auf wen man trifft.
Wir wissen nie, welches Ausmass an Gewalt uns entgegenschlagen wird.
Warum habt ihr Autofahrer blockiert, die bereits im Stau steckten?
nUnser Ziel ist es nicht, die Leute zu blockieren oder zu belästigen. Unser Ziel ist es, für die gesamte Schweizer Bevölkerung sichtbar zu sein, auf die Klimadringlichkeit aufmerksam zu machen und Alarm zu schlagen. Und das funktioniert. Die Aktion vor dem Gotthard im letzten Jahr wurde im ganzen Land gesehen, sogar international. Die Menschen, die uns auf den Blockaden sehen, repräsentieren letztlich nur einen kleinen Teil der Bevölkerung.
Sind eure Methoden nicht kontraproduktiv?
nEine kürzlich in der ZeitschriftNatureveröffentlichte Studie zeigt, dass Aktionen des zivilen Ungehorsams einen positiven Einfluss auf die öffentliche Meinung haben. Sie sensibilisieren die Bevölkerung in Bezug auf den Klimawandel und steigern ihre Besorgnis. Das ist durch Zahlen belegt, es gibt keine kontraproduktive Wirkung. Die Mehrheit der Bevölkerung sehnt sich nach Veränderungen. Sie hat für Klimagesetze gestimmt. Sie erwartet von den Politikerinnen und Politikern, dass sie mehr Massnahmen ergreifen.
Ihr geht also davon aus, dass eure Aktionen etwas bewirken?
nJa, aber das ist nicht der einzige Grund. Der Grund, warum wir so handeln, ist auch, dass wir nicht mehr wissen, was wir tun sollen. Ich sehe Menschen, die von Klimakatastrophen betroffen sind. Ich kann nicht passiv bleiben, also handle ich, wie ich kann. Wenn jemand eine bessere Idee hat, bin ich offen dafür.
Die Politik hat uns dahin gebracht, wo wir heute sind: nicht weit genug im Vergleich zum Ausmass der Klimakatastrophe.
Eure Aktionen werden online oft oder sogar immer sehr negativ kommentiert. Entmutigt euch das nicht?
Man muss sich vor Augen halten, dass die Kommentare nicht repräsentativ sind. Es handelt sich um einen kleinen Teil von Menschen, die ihren Hass entfesseln wollen, aber es gibt auch andere, die unsere Aktionen gutheissen, auch wenn sie nicht unbedingt sichtbar sind. Ich habe an Aktionen teilgenommen, bei denen wir Applaus bekommen haben. Auch das kommt vor. Und dann gibt es noch diejenigen, die zwar mit unserer Vorgehensweise nicht einverstanden sind, aber der Meinung sind, dass etwas getan werden muss.
Machst du dir keine Sorgen über mögliche rechtliche Konsequenzen?
nEs gibt zahlreiche Strafverfahren gegen mich, ich kann damit rechnen, dass ich mehrere tausend Franken Strafe zahlen muss. Das macht mir überhaupt keine Freude, aber ich mache das nicht aus Spass, sondern aus Notwendigkeit.
Im Vergleich zu dem, was die Menschen in den von der Klimakrise betroffenen Regionen erleben müssen, sind diese Geldstrafen nicht viel.
Und was ist mit der Gewalt?
nBei unseren Aktionen akzeptieren wir, dass wir ein Risiko eingehen. Vor Autos zu sitzen, ist gefährlich. Einige Leute, die ich kenne, hatten schon Albträume, in denen sie davon träumten, von Autos überfahren zu werden. Das ist extrem beängstigend. Aber das entmutigt uns nicht und mindert auch nicht unsere Entschlossenheit. Wir wissen, dass das, was wir tun, richtig ist.