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Die Natur zahlt den Preis für Wasserstrom: Bericht zeigt erstmals, wie es den Schweizer Gewässern geht

Erstmals hat der Bund den Zustand aller Flüsse, Bäche und Seen in der Schweiz untersucht. Fazit: Trotz den Folgen des Klimawandels geht es den Gewässern zwar besser als auch schon. Doch es bleibt viel zu tun.

Seit Juni wird auch die Schweiz von Hitzewellen heimgesucht. Das schlägt sich auch in den Gewässern nieder: Das kühle Nass erwärmt sich, die Wasserstände sinken ab und es kommt in der Folge zu Fischsterben. Zugleich führen Extremtemperaturen aber auch zu Starkniederschlägen, die etwa im Juli im Emmental zu heftigen Überschwemmungen führten.

Wie es den Schweizer Gewässern wirklich geht, ist nun zum ersten Mal in einer gesamthaften Analyse untersucht worden. Am Dienstag hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) den ersten Bericht «Gewässer in der Schweiz – Zustand und Massnahmen» veröffentlicht. Darin geht es neben den bereits messbaren Auswirkungen des Klimawandels auch um die Wirkung von Massnahmen im Gewässerschutzgesetz.

Und der Bafu-Bericht kommt zum Schluss: Es geht den Gewässern in der Schweiz zwar besser als auch schon. Sie sind aber weiterhin stark unter Druck.

Naturnahe Gewässer sind am besten gerüstet für den Klimawandel

Wie Bafu-Direktorin Katrin Schneeberger anlässlich des Mediengesprächs zum Bericht sagte, würde die Renaturierung der Gewässer lokal bereits Erfolge zeigen. Doch es bleibe beim Gewässerschutz noch viel zu tun. Denn: «Naturnahe Gewässer sind am besten gewappnet für die aktuellen und künftigen Herausforderungen wie den Klimawandel und die Verbreitung von invasiven Arten», so Schneeberger.

Katrin Schneeberger, Direktorin des Bundesamtes für Umwelt, betont die Wichtigkeit von naturnahen Gewässern. (Archivbild)
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Zudem regt die Bafu-Direktorin an, sich mehr Gedanken zu den Schweizer Wasserreserven zu machen. Man müsse dank der grossen Grundwasserbestände zwar keinen Mangel befürchten. Dennoch gab Schneeberger zu bedenken:

«Es wird nicht mehr immer und überall Wasser im Überfluss geben.»

Ein weiteres Thema sind die teils stark steigenden Wassertemperaturen. Wie Stephan Müller, Leiter der Abteilung Wasser beim Bafu erläuterte, ist die Temperatur im Rhein bei Basel seit 1960 um zwei Grad gestiegen. Bis 2040 rechnet das Bafu mit einem weiteren Anstieg um zwei Grad. Das veränderte Mikroklima bedrohe dabei insbesondere Fische wie Äschen und Forellen, die zum Überleben auf kaltes Wasser angewiesen sind.

Auch punkto Mikroverunreinigung der Gewässer gibt es nicht nur Positives zu berichten. Zwar werden Abwasserreinigungsanlagen schweizweit aufgerüstet, um solche Verunreinigungen zu beseitigen. Doch laut Stephan Müller sind heute «viele Gewässer als Lebensraum ungenügend». Und seit 2012 habe sich die Situation nicht verbessert. So würden ökotoxikologische Grenzwerte vielerorts nach wie vor überschritten.

Chlorothalonil-Werte bleiben hoch

Noch immer sind die Schweizer Seen grossflächig durch das mittlerweile verbotene Pflanzenschutzmittel Chlorothalonil beeinträchtigt. Wie Stephan Müller am Mediengespräch sagte, wird das auch noch lange so bleiben:

«Es ist ein jahre- bis jahrzehntelanger Prozess, bis das ausgewaschen ist.»

Auch die Konzentration von Arzneimitteln liegt laut Bericht in vielen mittelgrossen und grossen Gewässern über dem Grenzwert. Und die Nitratgrenzwerte werden im Mittelland, wo laut Müller viel intensive Landwirtschaft betrieben wird, an der Hälfte der Messstationen überschritten.

In vielen Schweizer Seen stimmen die Sauerstoffwerte nur dank künstlicher Belüftung – so etwa im Sempachersee. (Archivbild)
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Der hohe Phosphateintrag und als Folge davon der Sauerstoffgehalt in den Seen bleibt damit ein grosses Problem – wobei sich der Klimawandel zusätzlich ungünstig auswirkt. Im Zürichsee etwa können sich die verschiedenen Wasserschichten kaum mehr durchmischen, weil sehr kalte Winter selten geworden sind. 60 Prozent der Seen erreichen den Sauerstoff-Grenzwert nicht oder nur dank künstlicher Belüftung. Dies ist etwa beim Sempachersee, Hallwilersee oder Baldeggersee der Fall.

Wasserkraft ausbauen – zu welchem Preis für die Natur?

Interessant ist der Bafu-Bericht auch vor dem Hintergrund der drohenden Strommangellage. Stammen doch laut Bundesamt für Statistik 58 Prozent des in der Schweiz produzierten Stroms aus Wasserkraft. Entsprechend werden aktuell praktisch täglich neue Vorschläge gemacht, wie die Wasserkraft als wichtigstes energiepolitisches Standbein zu einer besseren Versorgungssicherheit des Landes beitragen könnte.

So machte etwa Swissmem-Chef Stefan Brupbacher gleichentags bei Radio SRF den Vorschlag, den Ausbau von Wasserkraftwerken zu forcieren. Konkret sollen 13 Staumauern erhöht und zwei neue schneller als bislang vorgesehen gebaut werden. In einem Kompromiss hatten sich Vertretungen der Energiewirtschaft und Umweltschützer auf diese Projekte geeinigt. Auch Energieministerin Simonetta Sommaruga war in den Prozess involviert.

Überdies kursiert in bürgerlichen Kreisen der Vorschlag, die Restwassermengen in den Stauseen zu senken. Diese Massnahme ist jedoch umstritten, weil zeitweise fehlendes Wasser in Unterläufen von Stauseen manchen Tieren und Pflanzen stark schadet.

Bürgerliche Kreise fordern, die Restwassermengen in den Stauseen zu senken. Der Vorschlag ist wegen Naturschutzbedenken umstritten.
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«Es ist klar, dass das Restwasser für die Ökosysteme eine grosse Bedeutung hat», sagt dazu Bafu-Direktorin Schneeberger. Doch es gebe auch natürliche Schwankungen beim Pegel, was an sich kein Problem sei. Die aktuell drohenden Energieengpässe respektive eine Strommangellage erforderten zwar «unkonventionelle Massnahmen», so Schneeberger:

«Diese dürfen aber nicht zum Normalzustand werden.»

Die Natur zahlt also bereits jetzt einen Preis für den Wasserstrom. Und dieser könnte bei Lockerungen der bestehenden Vorschriften noch höher werden. Worauf auch der Bafu-Bericht hinweist: Ein Grossteil der Schweizer Gewässer sei «kanalisiert, künstlich verbaut oder durch die Wasserkraft beeinträchtigt», heisst es darin.

Die Verbauungen und die Wasserkraftnutzung seien «eine Hauptursache dafür, dass viele Lebewesen in und an den Gewässern bedroht oder bereits ausgestorben» sind. So gehören Fische und Krebse laut Bericht zu den am meisten gefährdeten Arten in der Schweiz.

Und dies, obwohl seit den 1990er-Jahren versucht wird, die Wasserkraftnutzung sowie den Hochwasserschutz so naturnah als möglich zu gestalten. Bis in 50 Jahren soll ein Viertel der verbauten Schweizer Gewässerstrecken revitalisiert sein, Gewässer sollen mehr Raum bekommen und negative Auswirkungen der Wasserkraft müssen bis 2030 reduziert werden.